Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
bekommen hatte.
»Wie geht’s, Harry? « Nho schob den Tuk-Tuk-Fahrer zur Seite.
Harry blickte an sich nach unten. Sein Rücken schm erzte und die löchrigen weißen Tennissocken vor dem schmutzigen grauen Asphalt hatten etwas unsagbar Trauriges.
»Tja. Ins Schrøder würde ich so nicht kommen. Hast du meine Schuhe mitgenommen?«
Harry war sich v erflucht sicher, dass Nho sich beherrschen musste, um nicht zu grinsen.
»Sorensen hat mich gebeten, beim nächsten Mal einen Haftbe-fehl mitzubringen«, sagte Nho, al s sie wieder im Auto saßen.
»Jetzt haben wir wenigstens etwas gegen sie in der Hand: Gewalt gegen einen Beamten.«
Harry fuhr sich mit dem Finger über einen Kratzer auf seinem Bein. »Nicht gegen sie, bloß ge gen diesen Fleischberg. Aber vielleicht kann der uns etwas sa gen. Was habt ihr Thailänder eigentlich mit der Höhe? Laut Tonje Wiig bin ich innerhalb 136
kürzester Zeit der dritte Norw eger, der aus einem Fenster geworfen wurde.«
»Eine alte Mafiamethode, sie machen das lieber, als Leute zu erschießen. Die Polizei kann nicht ausschließen, dass es sich um einen Unfall handeln könnte, wenn sie jem anden unter eine m Fenster finden. Ein bisschen Geld wechselt den Besitzer und die Sache wird zu den Akten gelegt, ohne dass eine konkrete Person angegangen werden könnte. Alle sind zufrieden. Einschusslö-
cher verkomplizieren die Dinge bloß.«
Sie blieben an einer roten Am pel stehen. Eine alte, gebeugte Chinesin saß auf einer Decke auf dem Bürgersteig und grinste sie mit verfaulten Zahnstumm eln an. Ihr Gesicht schwamm in der blauen, zitternden Luft.
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KAPITEL 18
Es war Aunes Frau, die den Hörer abnahm.
»Es ist spät«, sagte sie schlaftrunken.
»Es ist früh«, berichtigte Harry sie. »Entschuldige, wenn es jetzt unpassend ist, aber ich wollte Oddgeir erreichen, ehe er zur Arbeit geht.«
»Wir wollten gerade aufstehen, Harry. Einen Augenblick, ich gebe ihn dir.«
»Harry? Was willst du?«
»Ich brauche deine Hilfe. Was ist ein Pädophiler?«
Harry hörte Oddgeir Aune gr unzen und sich im Bett um drehen.
»Ein Pädophiler? Das ist ja ein toller Start in den Tag. Kurz gefasst ist das eine Person, die sich sexue ll von Minderjährigen angezogen fühlt.«
»Und etwas weniger kurz gefasst?«
»Es gibt noch vieles, das wir nicht wissen, aber wenn du einen Sexologen fragst, wird der ve rmutlich zwischen präferenzbedingten und situationsbedingten Pädophilen unterscheiden. Der klassische Mann m it der Bonbontüte im Park zählt zu den präferenzbedingten. Seine pädophile Veranlagung hat häufig ihren Ausgangspunkt in der Juge ndzeit, ohne notwendigerweise irgendwelche äußerlichen Konflikte zu zeigen. Er id entifiziert sich mit dem Kind, pas st sein Verhalten an das kindliche Alter an und kann manchmal sogar die Rolle eines Pseudo-Elternteils einnehmen. Die sexuelle Handlung ist in der Regel vorher aufs Genaueste geplant und für i hn ist die sexuelle Handlung ein Versuch, sein Lebensproblem zu l ösen. Sag m al, kriege ich diese Analysen bezahlt?«
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»Und der situationsbedingte?«
»Das ist eine etwas diffuse re Gruppe. Diese sind sexuell primär an anderen Erw achsenen interessiert und das Kind ist häufig ein Ersatz für jem anden, mit dem der Pädophile in Konflikt steht. W ährend der klassische Pädophile häufig Päderast ist, das heißt, sich
für kleine Jungen interessiert,
interessiert sich d ie andere Gruppe meistens für Mädchen. In dieser Gruppe findet man viele der Inzest-Übergriffe.«
»Sag mir lieber etwas über den Mann mit der Bonbontüte. Wie tickt der?«
»Wie du und ich, Harry, abgesehen von ein paar kleineren Ausnahmen.«
»Und die wären?«
»Zum einen ist es wichtig, nich t zu generalisieren, wir reden hier von Menschen. Zum anderen ist das nicht m ein Spezialge-biet, Harry.«
»Du weißt mehr als ich.«
»Also, Pädophile haben häufig ei n schlechtes S elbstbild und eine, wie man sagt, zerbrechliche Sexualität. Das heißt, dass sie unsicher sind und die Sexualität eines Erwachsenen nicht ertragen, dabei aber das Gefühl habe n, zu kurz zu komm en. Nur in Gegenwart von Kindern haben si e den Eindruck, die Situation unter Kontrolle zu haben und ihre Lüste ausleben zu können.«
»Und die wären?«
»Das erstreckt sich ebenso weit wie die sexuellen Gelüste aller anderen. Von physisch harm losem Schmusen bis zu Vergewaltigung und Mord. Das kommt ganz darauf an.«
»Und all das ist auf die Jugend und das Umfeld
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