Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
sch malen, glitzern-den Schlitzen. Harry hatte bem erkt, dass ihm das Lachen der Kommissarin gefiel.
Die zwei Boxer hatten ihre Stirnbänder abgenommen, gingen im Ring herum und vollführten eine Art Ritual, indem sie die Köpfe auf die Eckpfosten legte n, in die Knie gingen und dann ein paar tänzelnde Schritte machten.
»Man nennt das ram muay « , sagte Liz. »Er tanzt zu Ehren seines persönlichen khruu, Guru und Schutzheiligen des Thaiboxens.«
Die Musik stoppte und Ivan ging in seine Ecke. Die Trainer steckten die Köpfe zusamm en und legten die Handflächen aneinander.
»Sie beten«, sagte Liz.
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»Hat er das nötig? «, fragte Harr y besorgt. E r glaubte, eine recht ansehnliche Summe in den Taschen gehabt zu haben.
»Nicht, wenn er seinem Namen alle Ehre macht.«
»Ivan?«
»Alle Boxer dürfen sich ihren Nam en selbst wählen. Ivan hat sich nach Ivan Hippolyte benannt, einem Niederländer, der 1995
einen Kampf im Boxzentrum Lumphini gewonnen hat.«
»Nur einen Kampf?«
»Er ist der einzige Ausländer, der im Lumphini gewonnen hat.
Jemals.«
Harry wandte sich zur Seite, um zu erkennen, ob ihr Gesicht eine gewisse Zweideutigkeit zum Ausdruck brachte, doch da ertönte der Gong und der Kampf begann.
Die Boxer näherten sich eina nder vorsichtig, hielten vorerst respektvollen Abstand und um kreisten einander. Ein Schwinger wurde einfach pariert und ein Kontertritt endete in der Luft. Die Musik wurde wieder lauter und wurde von den Anfeuerungsru-fen des Publikums unterstützt.
»Die müssen sich erst mal warmlaufen«, rief Liz.
Dann stürzten sie sich aufeina nder. Blitzschnell und in ein em Wirbel aus Armen und Beinen. Es ging so schnell, dass H arry kaum etwas sah, doch Liz stöhnte. Ivan blutete bereits aus der Nase.
»Er hat einen Ellbogen abbekommen«, sagte sie.
»Ellbogen? Hat der Ringrichter das denn nicht gesehen?«
Liz lächelte.
»Es ist nicht verboten, mit dem Ellbogen zu schlagen. Eher im Gegenteil. Schläge mit den Hä nden oder Füßen geben Punkte, aber in der Regel sind es die E llbogen oder Knie, die zum K.o.
führen.«
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»Vermutlich weil sie keine so gute Tritttechnik haben wie die Leute, die Karate machen.«
»Damit wäre ich vorsichtig, Harry. Vor ein paar Jahren schickte Hongkong seine fünf besten
Kung-Fu-Kämpfer nach
Bangkok, um abzuklären, welcher Stil effektiver ist. Da s
Aufwärmen und die Zerem onien dauerten etwas über eine Stunde, aber die fünf Kämpfe dauerten zusamm en nur sechsein-halb Minuten. Dann waren fünf Rettungswagen auf de m Weg in die Klinik. Und rate mal, wer da drin lag.«
»Das müssen wir heute Abend wohl nicht befürchten.« Harry gähnte demonstrativ. »Das ist ja … Ach du große Scheiße!«
Ivan hatte d en Nacken seines Gegn ers zu fass en bekommen und in einer blitzschnellen Bewegung drückte er den Kopf nach unten, während sein rechtes Knie wie ein Katapult nach oben schoss. Der Gegner kippte nach hinten, bekam aber m it den
Armen die Seile zu fassen, so dass er direkt vor Harry und Liz hängen blieb. Blut spritzte, als sei irgendwo ein Rohrbruch, und klatschte auf den Bode n. Harry hörte hinter sich Menschen protestieren und be merkte, dass er aufgestanden war. Liz zog ihn zurück auf den Stuhl.
»Super!«, rief sie. »Hast du gesehen, wie schnell Ivan war? Ich habe doch gesagt, dass das lustig wird, oder?«
Der Boxer m it den roten Hosen hatte den Kopf zur Seite gedreht, so dass Harry ihn im Profil sah. Er konnte sehen, wie sich die Haut an s einem Auge bewegte, während dahinter das Blut zusammenströmte. Es sah aus wie eine L uftmatratze, die aufgepumpt wurde.
Harry hatte ein seltsam es, quälendes Déjà-vu, als Ivan zu seinem hilflosen Gegner trat, der sicher kaum mehr wusste, dass er sich in einem Boxring befand. Ivan nahm sich Zeit, studierte seinen Widersacher in etwa so wi e ein Gourmet, der sich fragt, ob er bei seinem Hähnchen mit Keule oder Brüstchen anfangen soll. Im Hintergrund konnte Harry den Ringrichter erkennen. Er 164
hatte den K opf etwas zur Seite gelegt und seine Arm e hingen schlaff nach unten. Harry erka nnte, dass dieser Mann nicht vorhatte, einzugreifen, und er spür te, wie sein Herz gegen seine Rippen hämmerte. Die Drei-Mann- Kapelle spielte jetzt nicht mehr wie bei einem Karnevalsumzug, sie bliesen und trom melten in voller Ekstase.
»Stopp«, dachte Harry und hörte im gleichen Augenblick seine eigene Stimme: »Jetzt schlag ihn doch nieder!«
Ivan schlug zu.
Harry zählte
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