Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
nicht mit. Er sah nicht, wie der Ringrichter Ivans Hand in die Höhe reckte oder die Verbeugung des Siegers in alle vier Himmelsrichtungen. Er sta rrte auf den feuchten, rissigen Zementboden vor seinen Füßen, auf dem sich ein kleines Insekt von einem roten Blutstropfen zu befreien versuchte. Gefangen in einem Wirbel aus Geschehni ssen und Zufälligkeiten und bis zum Knie in Blut watend. Er war zurück in einem anderen Land, einer anderen Zeit und erwachte erst, als ihn eine Hand zwischen den Schulterblättern traf.
»Wir haben gewonnen«, heulte ihm Liz ins Ohr.
Sie standen gerade in der Schl ange und warteten beim Buc hmacher auf ihr Geld, als Harry ein e bekannte Stimm e Norwegisch reden hörte:
»Etwas sagt mir, dass der Kommissar sein Geld gut eingesetzt und nicht einfach nur auf sein Glück vertraut hat. In diesem Fall, mein Glückwunsch.«
»Nun«, sagte Harry und drehte sich um . »Hauptkommissarin Crumley behauptet von sich, eine Expertin zu sein, also ist das vermutlich nicht weit von der Wahrheit entfernt.«
Er stellte Jens Brekke der Kommissarin vor.
»Und Sie haben auch gewettet?«, fragte Liz.
»Ein Freund von m ir hat m ir gesteckt, dass der Gegner von Ivan ein wenig erkältet war. Eine unangenehm e Krankheit.
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Schon erstaunlich, was das für Auswirkungen haben kann, nicht wahr, Miss Crumley?« Brekke grinste breit und wandte sich a n Harry:
»Ich habe m ich entschlossen, so dreist zu sein und Sie zu fragen, ob Sie m ir nicht aus ei ner kleinen Klemme helfen können, Hole. Ich habe Molnes’ Tochter m it hierher genommen und sollte sie eigentlich jetzt na ch Hause fahren, aber einer meiner wichtigsten Kunden hat mich gerade auf de m Handy
angerufen. Ich muss ins Büro. Dort herrscht das blanke Chaos, der Dollar steig t zum Himmel und er m uss noch ein paar Lastwagen voll Baht loswerden.«
Harry sah in die Richtung, in die Brekke genickt hatte. Versteckt hinter ein paar Männern, die aus dem Stadion hasteten, stand Runa Molnes in einem langärmeligen Adidas-T-Shirt an die Wand gelehnt. Sie sah in eine andere Richtung.
»Als ich Sie sah, kam m ir in den Sinn, dass Sie ja in der Botschaftswohnung unten am Fluss wohnen. Es wäre kein großer Umweg, wenn Sie gem einsam ein Taxi nehmen würden.
Ich habe es ihrer Mutter versprochen und so weiter …«
Brekke wedelte mit der Hand, um anzudeuten, dass diese Art von mütterlicher Sorge natürlich üb ertrieben war, aber dass es dennoch wohl das Beste sei, auf diese Wünsche einzugehen.
Harry sah auf die Uhr.
»Natürlich macht er das«, sagte Liz. »Armes Mädchen. Und es ist verständlich, dass ihre Mutter zurzeit etwas ängstlich ist.«
»Natürlich«, sagte Harry und rang sich ein Lächeln ab.
»Wunderbar«, erwiderte Brekke. »Ach ja, und noch etwas.
Wären Sie so freundlich, auch meinen Gewinn abzuholen? Der sollte für die Taxikosten reichen. Wenn etwas überbleibt, gibt es doch sicher irgendeinen Polizeifonds für Witwen oder so etwas.«
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Er gab Liz die Quittung und verschwand. Mit großen Augen blickte sie auf die Zahlen.
»Fragt sich nur, ob es wirklich so viele W itwen gibt«, sagte sie.
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KAPITEL 22
Rune Molnes war nicht gerade froh darüber, nach Hause gebracht zu werden.
»Danke, ich komme schon zurecht«, sagte sie. »Bangkok ist in etwa so gefährlich wie das Zentrum von Ørsta an einem Montagabend.«
Harry, der noch nie an einem Montagabend in Ørsta gewesen war, hielt ein Taxi an u nd machte ihr die Tür auf. Widerwillig stieg sie ein, murmelte eine Adresse und starrte aus dem Fenster.
»Ich habe ihm gesagt, dass er zum River Garden fahren soll«, sagte sie nach einer Weile. »Dort müssen Sie doch hin, oder?«
»Mein liebes Fräulein, ich gla ube, die Anweisung lautete, Sie zuerst nach Hause zu bringen.«
»Fräulein?« Sie lachte und sa h ihn mit den schwarzen Augen ihrer Mutter an. Ihre fas t zusammengewachsenen Augenbrauen verliehen ihr ein elfenartiges Aussehen.
»Sie hören sich an wie m eine Tante. Wie alt sind Sie eigentlich?«
»Man ist immer so alt, wie man sich fühlt«, sagte Harry. »Und dann müsste ich wohl so um die sechzig sein.«
Sie sah ihn jetzt neugierig an.
»Ich habe Durst«, sagte sie plötzlich. »Spendieren Sie mir was zu trinken, dann dürfen Sie m ich anschließend nach Hause bringen.«
Harry hatte die Adresse von Moln es aus seinem Kalender von der Sparkasse herausgesucht, den er jedes Jahr von seinem Vater zu Weihnachten bekam, und versuchte nun, den Fahrer auf sich
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