Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
gesagt hatte, aber dann murmelte sie nicht unfreundlich: »Danke.«
Baltan räusperte sich vernehmlich und verkündete voller Tatendrang: »Nun, wir alle haben also einen guten Grund hier zu sein. Jetzt lasst uns darüber sprechen, wie wir die Mauern von Beli-Mekesch erobern.«
Nächtliches Zwischenspiel
So hoch hatte Yonathan sich die Stadtmauern von Beli-Mekesch nicht vorgestellt! Zusammen mit Yomi und Felin lag er im feuchten Gras und verfolgte die Ereignisse, die sich nur einen Steinwurf entfernt, unmittelbar vor dem Haupttor, abspielten.
»Ho!«, rief Baltan zur Torwache empor, und das Schauspiel, das Gimbar ersonnen hatte, begann. »Ho, Wache! Aller FriedeNeschans sei mit Euch. Öffnet bitte das Tor und lasst uns ein!«
Man wusste natürlich im Voraus, wie die Antwort der Wachsoldaten ausfallen würde. Kein Stadttor im ganzen Cedanischen Reich durfte zwischen Sonnenuntergang und aufgang geöffnet werden. Aber das lag auch nicht wirklich in der Absicht Baltans.
Nach Gimbars Plan sollte der angesehene Kaufmann mitten in der Nacht die Wachen für einige Zeit ablenken. Wenn das Schauspiel vor dem Tor seinen Höhepunkt erreichte, sollten Yonathan, Yomi und Felin über die Stadtmauer klettern, an einem Seil, das ihnen ein Komplize herablassen würde.
Dieser Helfer war niemand anderes als Gimbar selbst. Der war nämlich mit dem letzten Licht der Sonne in die Stadt eingeritten. Baltan hatte ihn mit Kleidung und Waren eines Tuchhändlers ausstaffiert, sodass kaum zu befürchten stand, man könne in Gimbar einen der gesuchten Begleiter des flüchtigen Yonathan erkennen.
In den letzten drei Tagen war der Plan immer wieder durchgesprochen worden. Yonathan und seine Gefährten hatten Baltans Karawane wie unsichtbare Schatten begleitet. Abseits der Pilgerstraße, die auf diesem Wegstück zugleich auch die Südliche Handelsroute war, hatten sie sich über Pfade und Wege gekämpft, die sonst nur von Waldbauern und Jägern benutzt wurden.
Die Abende verbrachten die Gefährten im Schutze von Baltans Zelten und dessen wehrhaften »Handelsgehilfen«. Yonathan genoss die Gespräche im Kreise der Freunde und das unbeschwerte Gefühl, einmal nicht hinter jedem Baumstamm oder Felsvorsprung einen Häscher Sethurs oder Soldaten Zirgis’ erwarten zu müssen. Selbst mit Bithya brachte er einige Wortwechsel zustande. Obwohl die Urenkelin Goels fast in seinem Alter war, bereiteten ihm die Gespräche mit ihr die größten Schwierigkeiten. Er konnte sich das nicht erklären, zumal er immer seltener das Ziel ihrer stacheligen Wortgeschosse war. Das lag wohl daran, dass Bithya Gurgi kennen gelernt hatte.
Noch am ersten Abend war es geschehen. Der kleine Masch-Masch kroch verschlafen aus seinem Versteck in Yonathans Hemd. Die verlockenden Gerüche aus den Töpfen und Pfannen hatten es dem gefräßigen Pelzknäuel unmöglich gemacht, sich noch länger dem Schlafe hinzugeben. Kaum hatte Bithya das flauschige Wesen bemerkt, schienen alle Sorgen von ihr abgefallen. Da auch Schelima anwesend war, die ja ohnehin schon zum engeren Freundeskreis Gurgis gehörte, musste Yonathan erfahren, welch schweren Stand er hatte, wenn sich Frauen für den Masch-Masch interessierten.
Aber er lernte auch Yehsir kennen. Baltans erfahrenster Karawanenführer, der den Beinamen Bezel trug, hatte etwa die Gestalt Felins, war aber wesentlich älter. Yehsir hätte ebenso gut vierzig wie auch sechzig Jahre alt sein können. In seinen schwarzen Haaren, die meistens von einem Turban verdeckt waren, blitzten silberne Strähnen wie das Licht des Vollmondes, das durch einen Palmenwedel fällt. Hohe Wangenknochen, eine schmale Nase von der Schärfe eines temánahischen Krummsäbels und dichte, buschige Brauen, die über zwei immer wachen, dunklen Augen lagen, verliehen Yehsir ein aristokratisches Aussehen. Sonne und Wind hatten deutliche Spuren darin eingegraben. Das Gewand des Karawanenführers bestand aus einer unbestimmbaren Anzahl von weißen Falten, die sich um den hageren Körper schlangen.
Für das Reisen unter glühend heißer Sonne war dies sicher die zweckmäßigste Bekleidung. Nicht umsonst hatte Baltan seinen Karawanenführer Bezel genannt, ein Wort, das aus der Sprache der Schöpfung stammte und so viel wie Schützender Schatten bedeutete. Yonathan war dankbar, dass der alte Kaufmann ihm einen Führer an die Seite stellte, der sich in der lebensfeindlichen Wüste wie der schützende Schatten eines Felsens erweisen konnte. Doch Bezel alias
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