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Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Titel: Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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enden wollenden Schlauches.
    »So ungefähr muss es sein, wenn man von einer Riesenschlange verschluckt wird.« Yonathan wunderte sich über seine eigene Stimme. Wahrscheinlich war es das Gefühl der Enge, das ihn das Schweigen brechen ließ.
    Felin spürte die Anspannung seines Begleiters und versicherte ruhig: »Keine Angst, wir sind bald unten. Auf diese Weise werden wir nicht gesehen. Diesen alten Fluchtweg kennen nur wenige hier im Palast.«
    »Und dann zeigt Ihr ihn gerade mir?«
    »Wart’s ab«, entgegnete der Prinz. »Das ist noch lange nicht alles.« Dann schwieg er wieder und überließ Yonathan seinen eigenen Gedanken.
    Die Wendeltreppe musste irgendwo unter dem großen Thronsaal enden. Der leicht abschüssige Gang war direkt aus dem Felsen gehauen. Nach einigen Abzweigungen, die Yonathan vollends die Orientierung raubten, entdeckte er weiter vorn einen schwachen Lichtschimmer.
    Felin löschte die Fackel und verkündete leise: »Wir sind jetzt im Kerker.«
    Yonathan erschrak. War das Felins Absicht gewesen: ihn als den Träger des Stabes zu entlarven, um ihn darauf im Kerker des Palastes festzusetzen? Aber warum sollte es sich der Prinz so schwer machen und obendrein noch diesen Geheimgang verraten? Er hätte doch nur die Wachen rufen müssen, um ihn abführen zu lassen; die kannten sich ja bestens aus in derlei Botengängen.
    Mit einem Rest von Beklommenheit folgte Yonathan dem vorauseilenden Prinzen. Der Gang mündete in eine düstere Zelle, in der es muffig nach verfaulenden Binsen und Schlimmerem roch; eine versteckte Tür in der Steinwand eröffnete den Zutritt zu diesem trostlosen Ort. Nachdem Felin unter Mühen den schmalen Spalt der nur angelehnten Kerkertür erweitert hatte, schlüpften er und Yonathan in einen anderen Gang hinein, an dessen Ende eine Fackel in einer Wandhalterung brannte.
    Bei der Fackel mündete der Gang in einen größeren, breiterenTunnel, dem man ansah, dass er des Öfteren benutzt wurde. Erst als Yonathan sich umwandte, bemerkte er, dass der Seitenweg, aus dem sie gekommen waren, so finster ausschaute, dass er für jeden Besucher wie ein bedeutungsloser, stillgelegter Teil der Kerkeranlage wirken musste. Es folgten weitere Biegungen und Abzweige und je weiter sie in das unterirdische Gangsystem hinabstiegen, umso mehr verstärkte sich bei Yonathan ein dumpfes Gefühl des Unbehagens. Er empfand Entsetzen vor dieser dunklen, so endgültig wirkenden Abgeschiedenheit, aber auch tiefes Mitgefühl für all diejenigen, die hier unten seit langem schmachteten.
    »Dies ist eigentlich das Reich Belvins«, brach Felin endlich das Schweigen. »Unser Kerkermeister. Ein sonderbarer Kauz.
    Du wirst ihn noch kennen lernen, wenn wir nachher wieder hinaufsteigen.«
    Die Erwähnung des Aufstiegs ließ Yonathan aufatmen. »Ich glaube, ich würde auch sonderbar werden, wenn ich längere Zeit hier unten leben müsste.«
    »Belvin ist seit beinahe dreißig Jahren hier unten. Ursprünglich war er der Glasmachermeister des Hofes, ein großer Künstler. Aber dann hat ihn sein Ehrgeiz unvorsichtig werden lassen. Einer seiner Gesellen verlor dadurch sein Augenlicht. Der junge Kaiser – mein Vater – wollte Großmut zeigen. Er verurteilte Belvin zu lebenslangem Dienst im Kerker, abgeschieden vom Tageslicht, so wie der blinde Geselle, der von diesem Tage an eine Rente aus dem Sold Belvins bezog. Belvin könnte längst seine dienstfreien Stunden oben, unter der Sonne verbringen, aber die Schuld, die auf ihm lastet, hält ihn hier unten fest. Manchmal denke ich, er bewacht den Mann, der er einmal war, damit er nie mehr nach oben kommen und neuen Schaden anrichten kann.« Felin seufzte und schüttelte den Kopf. »Der hutzelige Alte tut mir irgendwie Leid.«
    Belvins Geschichte hatte Yonathan berührt. Auch er empfand Mitleid für den Mann, dem offenbar alle längst vergeben hatten, nur er selbst nicht.
    Inzwischen hatten Yonathan und der Prinz eine weitere Wendeltreppe erreicht. Wie ein in den Fels gehauener Turm bohrte sich die Röhre in das dunkle Herz des Palastberges hinein. Obwohl der Schacht, an dessen Innenwänden die Treppe in einer stetigen Rechtsschraube entlanglief, deutlich weiter war als derjenige, der sich in der Westmauer des Großen Kubus befand, fühlte sich Yonathan hier kaum wohler. Er hatte das Gefühl eine dumpfe Feindseligkeit zu spüren, die aus der Tiefe aufstieg wie Qualm in einem Kamin. Vermutlich fürchtete er sich nur vor der beklemmenden Abgeschlossenheit dieses finsteren

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