Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
Zeit zum Nachdenken.«
»Nachdenken nennst du das. Soso. Was glaubst du wohl, würde der Kaiser dazu sagen, wenn er erführe, wie intensiv sein Kerkermeister hier unten nachdenkt, während hinter seinem Rücken die Gefangenen hinauslaufen?«
»Die Kaiserliche Majestät?« Für einen Moment zeigte sich Unsicherheit in den schwarzen Knopfaugen des kleinen Mannes. Doch dann kehrte jener mürrische Ausdruck zurück, der Yonathan schon vorher aufgefallen war, und Belvin erwiderte: »Vielleicht wird man dann befördert von dem ›Geliebten Vater der Weisheit‹, nach oben, ans Licht.«
»Du weißt, dass du nach oben darfst, wann du willst, Belvin. Jetzt allerdings, nachdem ich dich hier beim ›Nachdenken‹ erwischt habe, könnte die Beförderung, die du erwähntest, wohl eher in die entgegengesetzte Richtung ausschlagen; ich schätze, mein Vater brächte es glatt fertig dich noch tiefer in dieses Verlies zu sperren, dahin, wo dir nicht einmal dieser kleine Lichtblick bleibt, durch den du da ständighinausstarrst.« Der Prinz deutete auf eine viereckige Öffnung, offenbar ein Lichtschacht, der nun aber völlig dunkel war.
Schrecken erfasste den kleinen Mann. »O nein!«, wimmerte er. »Nehmt dem armen Belvin nicht das Lichtlein. Es ist sein einziger Schatz. Man wartet schon so lange auf den Tag, an dem die Sonne wieder hereinschaut, um den armen Belvin zu begrüßen und ihm ein wenig Trost zu spenden in diesem dunklen Kerker…«
Felin beugte sich zu Yonathan hinüber und flüsterte: »Ein einziges Mal im Jahr scheint die Sonne direkt durch dieses Loch da herab. Es ist Belvins größter Festtag.« Dann wandte er sich wieder dem seltsamen Kerkermeister zu. »Ist schon gut, Alter. Ich werd’s mir noch mal überlegen.«
»Oh, das ist sehr gütig von dem jungen Prinzen.«
»Komm jetzt«, wandte sich Felin wieder an Yonathan. »Wir wollen hinaufgehen. Baltan und deine Freunde werden sicher schon auf dich warten.«
Yonathan hielt den Prinzen zurück. »Lass mich bitte auch noch kurz mit Belvin sprechen.«
»Der junge Herr will mit Belvin sprechen. Soso«, knarrte die hohe Stimme des Kerkermeisters. »Will er für ein Weilchen als Gast hier bleiben?«
»Im Gegenteil. Ich will dich bitten, ob du nicht mit uns nach oben kommen möchtest, dahin, wo es Licht und frische Luft gibt.«
Belvin zuckte erschrocken zurück. Er musste sich an der Tischkante abstützen. Seine schwarzen Augen wirkten gehetzt. »Nach oben?«, hauchte er. »Belvin kann nicht nach oben. Er muss hier drunten wachen. Die Gefangenen…«
»Die Gefangenen würden nicht gleich weglaufen, wenn du dir eine kleine Pause gönntest«, versetzte Yonathan.
»Aber der Kaiser…«
»Der Kaiser hat dir längst das Recht dazu zugestanden.«
»Nein, nein.« Belvins Stimme klang abgehackt, als würde ihn ein Alptraum schütteln. »Belvin kann nicht ans Licht. Die Schuld… Er hat das Licht genommen, ein für allemal.«
»Deine Schuld kann ich dir nicht nehmen«, sagte Yonathan sanft. Er ging einen Schritt auf den Mann zu, der ihm gerade knapp über die Schulter reichte, und ergriff dessen Hände. Belvin zuckte zusammen. »Hab keine Furcht«, redete Yonathan beruhigend auf den Kerkermeister ein. Mit den Daumen streichelte er die zitternden alten Hände, ohne dabei seinen festen Griff zu lockern.
»Was macht der junge Herr da?«, fragte das Männchen verwirrt. »Belvin hat so etwas nicht verdient. Lasst ihn hier sitzen und geht endlich wieder, nach oben, ans Licht.«
»Nicht ohne dich, Belvin.«
»Belvin hat das Licht genommen. Es würde ihn verzehren, wenn er sich in seinen Glanz wagte.«
»Belvin«, drängte Yonathan. »Deine Schuld ist nicht alles. Sicher, du musstest dafür büßen. Aber es gibt noch andere Dinge: Es gibt das Licht, die Luft und es gibt junge Menschen wie mich. Du könntest ihnen etwas über die Glasmacherkunst erzählen. Ich bin sicher, dass du uns jungen Burschen noch so manches beibringen könntest.«
»Glaubt er das wirklich?« Für einen Augenblick war der Nebel aufgerissen, der Belvins Geist umfangen hielt, und seine Augen schauten klarer. Doch dann kehrte die alte Wirrnis zurück und er begann wie schwachsinnig zu kichern. »Er ist ein rechter Narr, wenn er das glaubt. Niemand würde Belvin vertrauen. Nicht nachdem er das Licht gestohlen hat.«
Yonathan zeigte sich ungerührt von dem merkwürdigen Benehmen des alten Mannes. Nur seine Hände verstärkten für einen winzigen Augenblick den Druck. Belvin verstummte sofort und wollte
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