Nesser, Hakan
machen. Und von seiner
Glaubwürdigkeit.«
»Ein
Versuch kann ja nicht schaden«, sage ich. »Ich bin Ihnen wirklich dankbar für
Ihre Hilfe, wie schon gesagt. Und ich bin bereit, Sie zu bezahlen, ich denke,
das ist eine Selbstverständlichkeit.«
»Sie
können mich zum Essen einladen«, schlägt Mr. Edwards vor. »Sagen wir morgen
Abend. Bis dahin sollte ich diesen Monsieur Grimaux unter die Lupe genommen
haben.«
Ich
nicke. »Wo?«
Er
überlegt einen Moment. »Bei August in der Bleecker«, sagt er. »Dort kann man in
Ruhe sitzen und sich unterhalten. Um acht Uhr?«
»Morgen
Abend um acht Uhr«, bestätige ich und frage mich gleichzeitig, wie ich alle
diese Stunden totschlagen soll.
22
Im
Zusammenhang mit einer ihrer Ausstellungen wurde Winnie einmal von einem
Fernsehjournalisten folgende Frage gestellt:
»Winnie
Mason, was sehen Sie als wichtigstes Element in Ihren Bildern an?«
»Die
Stille«, antwortete Winnie.
»Die
Stille?«, wunderte sich der Journalist.
»Das
ist das wichtigste Element in allen Bildern«, erklärte Winnie. »Nicht nur in
meinen.«
Am
selben Abend, als wir zu Hause waren, griffen wir das Thema noch einmal auf.
»Warum hast du so geantwortet?«, wollte ich wissen. »Stille ist doch nur eine
Abwesenheit.«
»Nein«,
widersprach Winnie. »Stille ist eine Anwesenheit, eine Präsenz. Und
Wertlosigkeit ist eine Eigenschaft, das ist vielleicht schwer zu begreifen,
aber so ist es.«
Ich
erinnere mich, dass es in Saaren war, im Winter. Ungewöhnlicherweise hatten
wir Schnee, der auf dem Boden liegen geblieben war; ich schaute aus dem Fenster
und dachte, dass so eine Winterlandschaft tatsächlich eng verwandt ist mit dem
Schweigen.
»Und
wie ist es mit der Dunkelheit?«, fragte ich. »Ist das auch eine Eigenschaft?
Oder nur die Abwesenheit von Licht?«
»Meinst
du auf einem Bild oder im Leben?«, fragte Winnie.
»Ist
das nicht das Gleiche?«
»Ich
denke, das sind unterschiedliche Dinge«, erklärte Winnie. »Aber es ist nicht
das gleiche Verhältnis zwischen Licht und Dunkelheit wie zwischen Geräuschen
und Stille. Hast du nie darüber nachgedacht, wie wichtig es ist, dass um dich
herum Stille herrscht, wenn du ein Gemälde betrachtest? Ich meine, wirklich
betrachten und versuchen, es zu verstehen. Es kommt der Augenblick - wenn es
absolut ruhig und still ist -, in dem du entdeckst, dass nicht nur du derjenige
bist, der das Bild betrachtet. Das Bild betrachtet auch dich. Genau in dem...«
»Ja?«,
frage ich abwartend.
»Genau
in dem Moment, in dem du dich beobachtet fühlst, weichst du aus mit dem Blick
und gehst weiter zum nächsten Bild. Wenn du dich in einem Museum oder in einer
Galerie befindest, meine ich.«
Ich
schaute wieder nach draußen auf die Schneelandschaft. Versuchte mir
vorzustellen, dass sie tatsächlich auf mich zurückschaute, aber ich kann mich
nicht mehr erinnern, ob ich etwas Entsprechendes fühlte oder ob ich mir das nur
einbildete.
»Es
lohnt sich immer, vor einem Bild stehen zu bleiben«, sagte Winnie. »Man sollte
dem Blick nicht ausweichen. Denn erst wenn mir klar wird, dass auch ich
betrachtet werde, fangen die Dinge an zu geschehen.«
»Denkst
du an so etwas, wenn du malst?«, fragte ich.
»Ich
denke die ganze Zeit daran«, antwortete Winnie, und mir fällt ein, wie
verwundert ich über das Traurige in ihrem Tonfall war.
Im
Laufe des Nachmittags gelingt es mir tatsächlich, ein paar Stunden zu schlafen,
ich werde von einer Autosirene geweckt, ein Polizeiauto oder ein Krankenwagen,
der draußen auf der Straße mit laut aufgedrehten Sirenen vorbeifährt.
Es
ist halb sechs, ich versuche mir in Erinnerung zu rufen, was ich geträumt habe,
aber es wird nicht recht deutlich, doch ich weiß, dass es von Winnie und mir
handelte, wir waren in einem Kunstmuseum in einer fremden Stadt zu Besuch. Vielleicht
ist es dieses kleine Traumfragment, das mich dazu bringt, ins Loft
hinaufzugehen und das Bild herauszusuchen.
Ich
habe fast so eine Art Vorahnung gehabt. Auf jeden Fall starre ich mit einem
heftigen Dejá-vu-Gefühl auf den Mann neben dem grünen Auto.
Er
hat ein Gesicht bekommen. Ich weiß nicht, wer er ist, trotzdem erscheint er mir
alles andere als unbekannt.
Als
Winnie Rozenhejm verließ, geschah das unter der Voraussetzung, dass sie
weiterhin zuverlässig ihre Medikamente einnehmen würde. Doktor Vargas verschrieb ihr zwei verschiedene Präparate, Zunamtin und
Cipralex, und er betonte sowohl mir als auch ihr gegenüber, dass es
Weitere Kostenlose Bücher