Nesser, Hakan
sagen.
23
»Wir
haben es mit einer Frau zu tun«, erklärt Mr. Edwards. »Mit einer Frau in den
Fünfzigern.«
An
diesem Abend trägt er Anzug, weißes Hemd und Krawatte, nicht seine übliche
Kluft, Polohemd und Cordhose. Ich weiß nicht, warum er sich so gut angezogen
hat, und hake auch nicht nach.
»Eine
Frau?«, frage ich stattdessen.
»Ja.
Wundert Sie das?«
Ich
überlege. »Nein«, sage ich. »Eigentlich nicht. Ich habe mir halt nur einen Mann
vorgestellt.«
»Ich
auch«, gibt er zu. »Ich weiß nicht, warum, das Geschlecht an sich ändert
natürlich nichts. Außerdem sind wahrscheinlich die meisten, die in dieser
Branche praktizieren, Frauen, oder?«
Ich
sage, dass ich nicht weiß, wie es sich damit verhält, und bitte ihn, zur Sache
zu kommen. Dann entschuldige ich mich für meine Ungeduld; meine Ausschweifungen
am gestrigen Abend haben ihre Spuren hinterlassen, aber diesbezüglich schweige
ich Mr. Edwards gegenüber lieber.
Er
nickt und wartet, bis der Kellner kommt und Brot und Butter auf den Tisch
gestellt hat.
»Eine
gewisse Geraldine Grimaux«, erklärt er.
»Geraldine?«
»Oui.
Klein, dunkelhaarig und sehr französisch. Wenn ich ein altmodisches Wort
benutzen darf, dann würde ich behaupten, sie ist seelenvoll. Vielleicht eine
Voraussetzung in ihrem Metier.«
»Wahrscheinlich«,
nicke ich. »Wie sind Sie vorgegangen?«
»Ich
habe mich dazu entschieden, meine eigentliche Absicht nicht zu verraten«, sagt
er, und sein Tonfall klingt ein wenig entschuldigend. »Ich dachte, es reicht,
zunächst einen Eindruck zu bekommen, und dann... ja, dann können wir Sie später
immer noch zu ihr schicken.«
Ich
stimme zu. Das ist grob gesehen der Plan, über den wir uns einig gewesen sind;
natürlich müssen wir mich »später zu ihr schicken«. Gleichzeitig erscheint mir
sein professioneller Jargon etwas abstoßend. Aber ich mache weiterhin gute
Miene.
»Ich
habe sie nach ihren Spezialitäten gefragt«, fährt er fort, »und sie meinte
etwas beleidigt, dass es sich ja wohl kaum um Spezialitäten handelt, sondern um
Gaben. Jedenfalls ist sie die dritte Frau in direkter Erbfolge, die mit diesen
außergewöhnlichen Eigenschaften ausgerüstet ist, das hat sie mir erklärt. Die
Leute kommen aus allen möglichen Gründen zu ihr, manchmal kann sie helfen, manchmal
nicht. Was denn mein Problem eigentlich sei?«
»Interessant«,
sage ich und trinke ein wenig Wein.
»Zweifellos«,
sagt Mr. Edwards. »Madame Grimaux ist zurückhaltend und intelligent, und genau
wie Sie sagen, interessant. Ich habe fast den Eindruck gewonnen, dass sie ihre
Tätigkeit in gewisser Weise gegen ihren eigenen Willen ausübt. Als wäre es
ihre moralische Pflicht, ihre Gaben zu nutzen, sie aber eigentlich gar nicht so
begeistert davon ist... ja, so etwas in der Art. Auf jeden Fall habe ich mich entschieden,
so nahe wie möglich an der Wahrheit zu bleiben; ich habe ihr erklärt, dass
meine Ehefrau vor einer Reihe von Jahren gestorben ist, sie mich aber in der
letzten Zeit in meinen Träumen heimsucht. Und dass ich ahne, dass sie eine Art
von Botschaft für mich hat - aber eine Botschaft, die sie aus irgendeinem Grund
nicht in einem Traum überbringen kann... verstehen Sie?« Ich bestätige, dass
ich das tue.
»Nun
gut«, sagt Mr. Edwards, während er seinen Schlipsknoten etwas lockert und den
obersten Hemdknopf öffnet. »Sie ist ohne großes Vorgeplänkel gleich zur Sache
gekommen. Hat die Jalousien heruntergelassen, das Licht im Zimmer gedimmt und
meine Hände ergriffen. Hat mich gebeten, die Augen zu schließen, nichts zu
sagen, aber meine Frau vor meinem inneren Auge herbeizurufen. So saßen wir
wohl um die zehn, fünfzehn Minuten, ohne dass etwas passierte, sie hielt meine
Hände in einem lockeren Griff, ich versuchte mich auf Beatrice zu konzentrieren
und gedanklich nicht abzuschweifen, ich bekam ein Gefühl, als ob... ja, ich
weiß nicht genau. Eine Art Energie schien zwischen uns zu fließen, aber
vielleicht bringt es so eine Situation mit sich, dass man so ein Gefühl bekommt.«
Er
macht eine kurze Pause und scheint nachzudenken. Ich schweige.
»Ja,
wahrscheinlich ist es so«, stellt er fest. »Schließlich hat sie meine Hände
dann losgelassen. Blieb noch eine Weile reglos sitzen, bevor sie das Licht
anzündete und bedauernd erklärte, dass es ihr nicht gelungen sei, einen Kontakt
herzustellen. Das sei schade, aber man dürfe nicht jedes Mal ein Ergebnis erwarten.
Das liege an den Umständen. Ich erklärte, dass ich
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