Nesthäkchen 05 - Nesthäkchens Backfischzeit
überall das Brot bereits ausverkauft war, nahm sie unterwegs die Marken ab und schleppte noch drei Brote, die sie Gott weiß wo aufstöberte, heim.
Auf den Straßen kribbelte es geschäftig wie in einem Ameisenstaat durcheinander. Alles rannte, kaufte und schleppte, als ginge es gleich los mit dem Verhungern. Vor den Lebensmittelgeschäften staute sich das Publikum. Und als man dann endlich alles zu Hause hatte, gab's neue Aufregung. Margot Thielen trommelte Sturm gegen die Balkonwand.
»Du, Annemarie, ihr sollt gleich alle Eimer und Gefäße, die ihr habt, mit Wasser füllen, läßt Mutter euch sagen. Die Wasserwerke setzen aus, in Moabit gibt's schon kein Wasser mehr. Meine Tante hat's eben telefoniert.«
»Mutti ... Hanne ... das Wasser wird abgesperrt, schnell noch soviel Wasser wie möglich einlassen, sonst müssen wir verdursten und können uns nicht mehr waschen.«
Nesthäkchen war in grenzenloser Aufregung. Es begann, kleine Milchtöpfe, die zur Zierde auf dem Küchenbrett standen, schleunigst mit Wasser zu füllen ... bums ... da lag einer in Scherben auf den Steinfliesen.
»Verdrehte Zucht«, knurrte Hanne und lief mit sämtlichen Kochtöpfen, Tiegeln und Suppenterrinen zur Wasserleitung, als ob es brenne.
»Vor allen Dingen die Badewanne voll Wasser, die Krüge, Eimer und Karaffen.«
Doktor Braun erschien in höchsteigener Person, um Anweisungen zu geben.
»Lotte, bist du denn nicht gescheit, daß du die zinnernen Humpen herausschleppst! Fülle lieber die Waschschüsseln. Der Klaus hat doch nichts als Dummheiten im Kopf. Da füllt er sämtliche kleine Likörgläschen mit Wasser. Bengel, mach, daß du aus der Küche kommst!« Die Verwirrung war unbeschreiblich. Einer lief immer dem andern in den Weg.
»Is ja man allens umsonst. Die denken ja jarnich dran, das Wasser abzusperren«, brummte Hanne, die sich aus dem Labyrinth von Eimern, Töpfen und Gefäßen nicht mehr herausfand.
Aber die schlaue Hanne irrte sich diesmal. Als Annemarie gerade noch schnell die Gießkanne mit Wasser versehen wollte, damit ihre Tausendschönchen und Tomaten auf dem Balkon nicht Not leiden sollten ... schwupp ... da war's zu Ende.
Am Abend kroch die ganze Familie mit einbrechender Dunkelheit ins Bett. Klaus hatte seine Erfindung an der Petroleumlampe so glänzend gemacht, daß sie nun auch wie Gas und Elektrizität auszusetzen begann und überhaupt nicht mehr brannte. Nur gut, daß man im Monat Juni und nicht im Dezember war.
Am andern Morgen, als Annemarie und Margot zur Schule gingen, war das Straßenbild völlig verändert. Keine Bahn fuhr, kein Auto, keine Droschke. Alles lief geschäftig zu Fuß. Auch in der Schule gab es ein Durcheinander. Lehrer und Schülerinnen, die in den Vororten wohnten und auf Bahnverbindung angewiesen waren, fehlten. Vor allem aber fehlte der nötige Ernst und die richtige Sammlung zur Arbeit.
»Wir setzen auch aus, wir kommen morgen auch nicht zur Schule. Wenn alles aufhört, brauchen wir allein nicht zu arbeiten«, ließ sich ein Faulpelz hören.
Dieser Vorschlag wurde allgemein begeistert angenommen. Allerdings nur von den Schülerinnen. Fräulein Drehmann, der man den Entschluß in der Geographiestunde unterbreitete, hielt den Mädchen eine tüchtige »Standpauke«. Das war die übliche Bezeichnung für Strafpredigt. Ob sie sich denn nicht schämten, das Unheil, das durch die Blockade wieder hereinbräche, noch vermehren zu wollen. Daß jeder die Verpflichtung habe, in solcher Zeit alle Kräfte anzuspannen. Und daß ganz besonders die Jugend daran arbeiten müsse, das so schwer getroffene Vaterland wieder in die Höhe zu bringen.
Da verzichtete die Obersekunda großmütig auf ihre Blockade. Marlene Ulrich machte die Generalblockade schwere Sorgen, denn ihre Geburtstagsfeier sollte dadurch ins Wasser fallen. Man hatte einen Dampferausflug an die Oberspree geplant, mit Kaffeekochen, selbstgebackenen Kuchen und mitgenommenen Abendbrotstullen. Eine richtige Berliner Landpartie. Alle Freundinnen waren schon wochenlang dazu geladen. Und nun machte auch die Dampfschiffahrt nicht mehr mit. Solch ein Pech!
»Und ob meine Mutter überhaupt Kuchen backen kann, ist noch sehr die Frage. Man muß doch seine Mehl-und Fettvorräte jetzt zusammenhalten«, tat Marlene betrübt den Freundinnen kund.
Annemarie Brauns fröhlicher Sinn ließ sich durch solche Kleinigkeiten nicht niederdrücken. »Dann bringen wir uns jeder unsere Marmeladenstullen zum Kaffee mit. Wir kommen auf alle Fälle, und wenn
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