Nesthäkchen 07 - Nesthäkchen und ihre Küken
in den ersten Wochen ihrer Ehe in ihrem eigenen Neste umher. Sie hatte entsetzlich viel zu tun.
Von früh bis spät war sie unermüdlich auf den Füßen, um die aus dem Gange gekommene Wirtschaftsmaschine wieder in regelrechten Betrieb zu setzen. Nur selten bekam ihr Gegenüber, Herr Pfefferkorn, seine junge Freundin zu Gesicht. Einen großen Topf mit blühenden Azaleen hatte er ihr zum Empfang hinübergesandt. Der stand auf dem Nähtischchen am Erkerfenster, wo Frau Annemarie öfters saß und flickte.
Die wenige Zeit, die Annemarie von ihren Hausfrauenpflichten blieb, mußte für den begonnenen Pullover benutzt werden. O Gott, was war das für eine mühselige Geduldsprobe für Annemarie! Brauns Nesthäkchen hatte niemals gern Handarbeiten gemacht. Über die feldgrauen Strümpfe, die sie in der Kriegszeit im Schweiße ihres Angesichts angefertigt hatte, ein Tablettdeckchen für die Großmama und eine Kreuzstichdecke, über welche sich die Mutter erbarmen mußte, hatte sie es in ihrer Mädchenzeit nicht gebracht.
Und nun saß sie zählend an ihrem Erkerfenster und quälte sich mit dem Pullover herum. Hübsch gleichmäßig muß es gestrickt sein, hatte Margot ihr gesagt. Stricke einer mal, der sowieso nicht gut stricken kann, auch noch gleichmäßig, wenn er ständig unterbrochen wird, von Flora, von den Kindern, wenn man inzwischen noch das Telefon bedienen muß ...
Annemarie pfefferte, als Flora sie wieder einmal von der Arbeit abrief, die Strickerei so temperamentvoll wie in ihren besten Mädchenjahren in die Ecke, daß die Nadeln Reißaus nahmen.
Natürlich waren Maschen ausgerissen. Natürlich hatte Klein-Ursel sich die gute Gelegenheit nicht entgehen lassen, auch zu »ticken«, und hatte zum Überfluß auch noch die mühsam vollbrachte Strickerei aufgeribbelt. Das machte ihr ungeheuren Spaß. Ihrer Mutter weniger. Die stand entgeistert vor ihrer Penelope-Arbeit. Was sollte sie nun tun? Ihrem ersten Impulse folgen und Ursel verhauen? Die Prügel verdiente sie selbst. Die ehrliche Annemarie mußte sich das eingestehen. Sie war so verzweifelt, daß sie sich mit ihrem zerzausten Pullover auf ihren Fensterplatz setzte und bittere Tränen auf die grüne Wolle weinte.
»Muttißen« - entsetzt kamen die Kleinen, »Muttißen, farhum weinste denn? Hat Floßen mit dir deßimft?« Hansi streichelte sie zärtlich mit seinen dicken Händchen.
Ursel riß ihr energisch das Taschentuch von den Augen. »Nich feine, Lein-Usche so atig!«
»Ursel war gar nicht artig. Ursel hat Mutti die schöne Arbeit verdorben. Darum muß die Mutti jetzt weinen.«
»Lein-Usche so ßön detickt.« Die Kleine blieb voll Bewunderung für ihr Werk. Annemarie trocknete resolut die Augen. War sie wirklich noch so unreif, wegen einer verdorbenen Arbeit Tränen zu vergießen? Lohnte sich das? Na ja, die teure Wolle war hin. Und dann - was hatte sie nicht noch alles stricken wollen. Jeden Tag etwas anderes. Natürlich alles für die Kinder und Rudi zu Weihnachten. Er brauchte jetzt so mancherlei, war im wahrsten Sinne des Wortes recht »abgebrannt«. Von dem Wirtschaftsgeld ließ sich beim besten Willen nicht viel erübrigen. Das langte nicht hin und nicht her. Sie hatte so fest gehofft, mit diesen Strickereien ein nettes Sümmchen zu sparen. Seufzend griff sie zum Ausbesserkorb. An die Stricksachen wagte sie sich in diesem Leben nicht mehr heran. »Muttißen, von Hänßen verschählen«, verlangte Hansi. Auch Ursel kam herbei.
»Schählen ... schählen, Mutti!« Wenn Annemarie mit Nähereien beschäftigt war, pflegte sie stets mit den Kindern kleine Gedichtchen zu lernen, Liedchen zu singen oder von Rotkäppchen und den sieben Geißlein zu erzählen. Diesmal wünschten sie das Lied von Hänschen zu hören. Noch immer niedergedrückt, begann Annemarie, während sie Vronlis Höschen ausbesserte, zu singen:
» Hänschen wollt' ein Tischler werden,
Ist zu schwer der Hobel;
Schornsteinfeger wollt' er werden «
» Doch das ist nicht nobel.
Hänschen ... Hänschen ... denk daran,
Was aus dir noch werden kann. «
» Hänßen ... Hänßen dent dahan,
Was aus di färden tann » ,
fiel der Chor jubelnd ein.
Minutenlange Pause. Nachdenklich starrte Annemarie auf die Höschen in ihrer Hand. Erging es ihr nicht genau so wie dem Hänschen in dem Kinderliede? Nichts verstand sie, zu nichts hatte sie Geschick und Ausdauer. »Feiter, Mutti, liebes Muttißen, jing doch feiter«, bettelte Hansi.
Annemarie gab sich einen Ruck, ließ die Nadel wieder
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