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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
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seiner Freundlichkeit nachzulassen, bedauerte unser Kunde, Stempel müsse sein, sonst nütze ihm die ganze schöne Westquittung nichts. Er bat darum, sie ihm gestempelt zuzuschicken, er vertraue uns. Zum Abschied klopfte er auf den Tisch.

 
     
    Montag, 12. 2. 90
     
    Lieber Jo!
    (Vielleicht geht es im Leben nur darum, für sich das passende Layout zu finden.) Ich habe nicht geahnt, was Layout wirklich bedeutet! Erst nachdem ich gesehen hatte, wie einfach es ist, die Artikel auszurechnen, um sie auf die Spiegel zu übertragen, glaubte ich wieder daran, daß wir es schaffen würden! Das Layout ist unsere Landkarte, es ist unsere Verfassung, unser Vaterunser. Das Layout (Jörg betont es auf der ersten, Georg auf der zweiten Silbe) hindert dich daran, ungerecht zu werden und den eigenen Vorlieben nachzugeben, nichts darf bevorzugt oder benachteiligt oder vergessen werden. Layout ist Zivilisation und Recht, ist Höflichkeit und Anstand, ein Zuchtmeister, der dir die Freiheit schenkt.
    Die Arbeit war eine Orgie. Das Gebot, fertig werden zu müssen, war größer als jeder Wille, als jede Kraft und immunisierte gegen Erschöpfung. Wie ein Dämon ergriff es uns, ein Wesen mit drei Köpfen und sechs Händen. Eine OP -Mannschaft kennt vielleicht solch einen Rausch. Erst jetzt kann ich ermessen, welches Wunder eine Zeitung ohne weiße Stellen bedeutet.
    Die Tage, die dem vorangingen, waren allerdings ein Alptraum, als würde unser Schiff bereits beim Stapellauf kentern.Obwohl wir im Material ersoffen, blieben die Seiten leer. Am schlimmsten war Georg, der nichts gelten ließ, nicht mal seine eigenen Artikel. Die erste Ausgabe sollte etwas Besonderes werden.
    Als auch Fred seine Meinung zum besten gab – der Leserzorn würde gerade ihn, den Vertriebsmann, zuerst treffen –, hat ihn Jörg vor die Tür gesetzt.
    Am Sonntag morgen lag nur Jan Steens Seite in der Mappe. Die restlichen elf standen uns noch bevor. Franka, Georgs Frau, ging mit den Jungen in die Kirche, damit Georg im Wohnzimmer an seinem Tankstellenartikel feilen konnte, Jörg schrieb seinen Aufmacher wieder mal um, ich blätterte im Duden (ich weiß jetzt, wie »Mise en scène« geschrieben wird) und kümmerte mich um den Ofen. Fred war nach Offenburg gefahren, um den VW -Bus abzuholen. Am Abend zuvor hatte er im gegenüberliegenden Zimmer Linoleum verlegt. Das wird unser zweiter Arbeitsraum.
    Gegen elf klingelte es. Drei Männer wollten zu Georg und Fred, sie seien verabredet, sie hätten sich auf dem Markt kennengelernt. Sie hängten ihre langen Mäntel nebeneinander an die Garderobe. Ihr kleiner Anführer krauste seine Nase und machte sich sofort an allem zu schaffen, alles mußte er berühren, alles in die Hand nehmen. Die Briefwaagen gerieten unter seinen Fingerkuppen in stürmische Bewegung. Er patschte an die Ofenkacheln und auf den Tisch, sein Daumennagel prüfte das Holz der Stuhllehnen, und seine Adjutanten wies er an, gegen die Balken der Decke zu klopfen. »Unglaublich«, lautete jedesmal sein Befund, »wirklich unglaublich.«
    Seine Aufmachung, braune Kordhose, dunkelgrünes Jackett, gelber Westover 47 , wirkte gediegen, im Gegensatz zu der seinerLakaien, die die Farben Lila und Dunkelrot bevorzugten. Nachdem der kleine Anführer unsere Hände geschüttelt und Platz genommen hatte, konnte er nicht mehr an sich halten, er mußte uns seine Eindrücke über die »Hinterlassenschaft des Kommunismus« mitteilen.
    Jörg hämmerte weiter auf dem »grünen Ungeheuer« und schnaufte wie Swjatoslaw Richter. Die bunten Burschen nutzten jede Atempause ihres Chefs, um eigene Beobachtungen kundzutun, nannten uns Enthusiasten und Leute, die endlich ihre Ärmel hochkrempelten.
    Als ich den Anführer fragte, was
er
denn für einen Beruf ausübe, erhob er sich, um unter mehrmaligen Entschuldigungen seine Visitenkarten auf den Tisch zu schnippen, als spielte er seine Buben aus. Umgehend folgten zwei Asse. Ich hatte es mit einem »Chef vom Dienst« und zwei Redakteuren einer Gießener Zeitung zu tun.
    Während sie redeten und redeten, holte ich unsere Spiegel 48 aus der Kammer und bedeckte damit die Tischplatte. Ich legte die Photos und Artikel auf meine Seiten, als schmückte ich einen Gabentisch. Zum Schluß nahm ich den Layout-Entwurf zur Hand und sah darauf mit der Gewißheit, am Ende meines Täuschungsmanövers angelangt zu sein.
    Der Chef vom Dienst beugte sich vor, breitete die Arme aus und rief: »Bleisatz! Sie arbeiten mit Bleisatz?!« Einen Moment hielt ich

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