Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neue Zeit und Welt

Neue Zeit und Welt

Titel: Neue Zeit und Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
Vom Netzwerk:
Überschwemmung in den Tunnels, durch die sie fünf Jahre zuvor von ihren Freunden getrennt worden war, hatte sie gewartet. Josh würde gewiss zu ihr kommen. Aber der Hunger war endlich stärker gewesen als ihre Geduld, und sie hatte sich auf die Suche nach Nahrung gemacht, ohne sich doch weit von der Stelle zu entfernen, wo sie von den anderen getrennt worden war. Das war der Beginn ihres Lebens hier unten gewesen.
    Sie wurde eine Tunnelkatze. Sie erbeutete Ratten und Fische und, ab und zu, Eier. Sie hasste das Wasser, lernte aber, in eine Beziehung zu ihm zu treten, die gleichermaßen von Feindschaft wie von Vorsicht gekennzeichnet war, und am Ende überwand sie sich gar zum Schwimmen. Und wartete auf Joshua.
    Das ganze erste Jahr tat sie das ganz bewusst. Im Lauf der Zeit erkundete sie das Netzwerk der Tunnels trockener und durchspülter Art unter der Stadt. In dieser Zeit tat sich vieles – Vampire und Neuromenschen erschienen in großer Zahl, auf der Suche nach denen, die in ihre scheinbar unangreifbare Festung eingedrungen waren, forschend nach Verstecken und Fluchtwegen. Immer ohne Erfolg. Endlich hatten sie sich alle wieder über die Oberfläche zurückgezogen und Isis in Ruhe gelassen. Ihr Warten ging weiter.
    Nachdem Josh nicht aufgetaucht war, versuchte sie zweimal, in den Steinschächten über den Tunnels nach oben zu gelangen. Beide Male war der Schacht durch elektrisch geladene Stahlgitter versperrt, so dass sie halb ohne Bewusstsein in das fließende Wasser hinabstürzte und ohne ihre Katzengewandtheit gewiss den Tod gefunden hätte.
    Danach lebte sie in den dunklen Gängen und wartete weiter – obwohl der Anlass für ihr Warten immer undeutlicher wurde. Sie dachte in Abständen ein weiteres Jahr noch immer an Josh und setzte das Warten danach grundlos fort, ohne zu ahnen, was sie dazu bewog. Ihr Dasein im Labyrinth schien vom Schicksal bestimmt zu sein.
    Und in einem einzigen Augenblick war das alles verändert. Nun schnupperte sie Joshua, die Erinnerung flutete zurück.
    Sie lief eine Stunde lang durch Kanäle, bis sie seine echte Fährte fand. Es gab keinen Zweifel mehr. Joshua war zurückgekommen, um sie zu holen.
    Sie kämpfte sich langsam gegen die Strömung voran – für sie brusthoch –, nah an der Wandung, wo man sich besser halten konnte und der Widerstand des Wassers nicht so stark war. An jeder Biegung wurde die Fährte ein wenig deutlicher. Isis leckte sich die Nase.
    Schließlich wurde die Witterung so stark, dass sie stehen blieb und wie wild den Kopf hin- und herdrehte,’ so, als müsse er jeden Augenblick auftauchen. Er war nirgends zu sehen. Nur im senkrechten Schacht war die Fährte ganz deutlich. Isis kroch aus dem Wasser, schüttelte sich trocken, schlug die Krallen in das zernarbte Gestein und begann in dem schwarzen, winddurchfegten Schacht hinaufzuklettern.
    Bei der Erinnerung an ihre früheren Erlebnisse in solchen Schächten stellten sich ihr die Haare auf – die elektrischen Schläge, die Abstürze ins Wasser. Sie machte nach jedem Schritt eine Pause, schnupperte, lauschte, wäre am liebsten weitergelaufen, während eine Stimme sie drängte, die Flucht zu ergreifen.
    Ihre Augen waren weit aufgerissen, flackernd.
    Sie erreichte die Stelle, wo sich ein elektrisch geladenes Gitter befunden hatte – das Geflecht, durch das Josh bei seinem Absturz aus den Gemächern der Königin hindurchgekracht war –, und kam zum Stillstand. Aus dem Gestein ragten nur noch einige Reste verkohlter Drähte. Isis sog die Luft ein. Sie rochen nach Ozon und Joshua.
    Sie kletterte hier mit besonderer Vorsicht weiter und mied die Drahtreste, dann hastete sie das letzte Stück ohne Zwischenhalt hinauf. Oben sprang sie über die Klappe und landete geduckt auf allen vieren.
    Es war dunkel, wenn auch nicht so undurchdringlich wie vorher im Schacht. Joshuas Witterung war stark, jetzt aber vermischt mit anderen Gerüchen. Überlagert vor allem von einem. Isis schaute sich um. Dort in einer Ecke saß eine einsame Gestalt.
    Isis tappte auf die sitzende Frau zu. Als sie näher kam, fiel ihr auf, dass die beiden Gerüche – von Joshua und der Frau – immer stärker wurden. Sie vermischten sich aber mit Dutzenden anderer – nun, nicht gerade Düfte –, mit etwas, das Isis nicht sehen und auch nicht anders einordnen konnte.
    Bis sie auf einen Meter an den Thron herangekommen war, drehte sich Isis der Kopf durch das, was von Joshua zurückgeblieben war – die Frau auf dem Stuhl roch überall nach ihm.

Weitere Kostenlose Bücher