Neuromancer-Trilogie
Bobby nah genug heran, dass er sah, wie gelb Two-a-Days Augäpfel waren, fast orange im rosa-lila Schein der UV-Röhren, die in unregelmäßigen Abständen von der Decke hingen. »Was hat euch Weiber so lange aufgehalten?«, fragte der Softwaremann, aber es lag kein Zorn in seiner Stimme, sondern knochentiefe Müdigkeit und noch etwas anderes, das Bobby zunächst nicht identifizieren konnte.
»Pye«, sagte Jackie und stolzierte am Rollstuhl vorbei, um ein Päckchen mit chinesischen Zigaretten von der riesigen
Holzplatte zu nehmen, die Two-a-Day als Couchtisch diente. »Ist’n Perfektionist, der alte Pye.«
»Hat er am Veterinärsinstitut gelernt«, ergänzte Rhea, an Bobby gewandt. »Aber meistens ist er so hinüber, dass ihm keiner auch nur’nen Hund anvertraut.«
»Soso«, sagte Two-a-Day und richtete endlich den Blick auf Bobby, »du kommst also durch.« Seine Augen waren so kalt, so müde und nüchtern, so ganz anders als das aufgedrehte, manische Sprücheklopfergehabe, das Bobby als charakterlichen Grundzug des Mannes betrachtet hatte, dass er nur beschämt den Blick senken und mit knallrotem Gesicht auf den Tisch starren konnte.
Fast drei Meter lang und über einen Meter breit war der Tisch, und die Bretter, aus denen er bestand, waren dicker als Bobbys Oberschenkel. Er hatte bestimmt mal im Wasser gelegen, dachte Bobby; teilweise war noch die ausgelaugte, silbrige Treibholzpatina zu erkennen, wie auf jenem Balken, neben dem er vor langer Zeit in Atlantic City gespielt hatte, wie er sich erinnerte. Allerdings hatte der Tisch schon lange kein Wasser mehr gesehen, und die Platte war ein dichtes Mosaik aus Kerzenwachs, Weinflecken, seltsam geformten Sprührändern aus mattschwarzem Emaille und dunklen Brandflecken von aberhundert Zigaretten. Er war dermaßen mit Essen, Müll und Krimskrams vollgestellt, dass es aussah, als hätte sich ein Straßenhändler gerade darangemacht, seine Ware abzuladen, dann jedoch beschlossen, eine Essenspause einzulegen. Da waren angeknabberte Pizzas – Krillbällchen in roter Sauce, prompt begann Bobbys Magen zu knurren -, daneben stapelweise Software, fettige Gläser mit in Rotweinresten ausgedrückten Zigarettenstummeln darin, ein pinkfarbenes Styroltablett mit ordentlichen Reihen nicht mehr ganz frisch wirkender Appetithäppchen, offene und noch verschlossene Bierdosen, ein antikes Gerber-Kampfmesser,
das blank auf einer polierten Marmorplatte lag, mindestens drei Pistolen und etwa zwei Dutzend geheimnisvolle Hardwareteile, Cowboy-Gerät, bei dessen Anblick Bobby normalerweise das Wasser im Mund zusammengelaufen wäre.
Jetzt ließ ihm die Krillpizza das Wasser im Mund zusammenlaufen, aber sein Hunger war nichts angesichts der jähen Erniedrigung, die er empfand, als er sah, dass er Two-a-Day völlig schnuppe war.
Bobby hatte ihn nicht gerade für einen Freund gehalten, sich aber durchaus eingebildet, dass Two-a-Day in ihm eine Persönlichkeit sah, einen Menschen mit Talent und Initiative, der die Chance hatte, aus Barrytown herauszukommen. Doch Two-a-Days Augen verrieten Bobby, dass er für ihn ein Niemand war, und ein Wilson obendrein.
»Sieh mich an, mein Freund«, sagte jemand, nicht Two-a-Day, und Bobby blickte auf. Zwei weitere Männer – beide Schwarze – saßen links und rechts von Two-a-Day auf dem riesigen Sofa aus Leder und Chrom. Derjenige, der gesprochen hatte, trug eine Art graues Gewand und eine altertümliche Brille mit Kunststoffgestell. Der Rahmen war eckig und zu groß und offenbar ohne Gläser. Der andere Mann hatte doppelt so breite Schultern wie Two-a-Day, trug jedoch einen schlichten, zweiteiligen schwarzen Anzug, wie japanische Geschäftsleute im Film. Seine makellos weißen französischen Manschetten wurden von kleinen, goldglänzenden Platinen zusammengehalten. »Ein Jammer, dass wir dir keine Schonzeit zur Genesung gewähren können«, sagte der erste Mann, »aber wir haben da ein böses Problem.« Er machte eine Pause, setzte die Brille ab und massierte sich den Nasenrücken. »Wir brauchen deine Hilfe.«
»Scheiße«, sagte Two-a-Day. Er beugte sich vor, zog eine Zigarette aus der Packung auf dem Tisch, steckte sie sich mit
einem gut zitronengroßen Totenkopf aus mattem Zinn an und griff nach einem Weinglas. Der Mann mit der Brille streckte einen langen, braunen Zeigefinger aus und legte ihn Two-a-Day aufs Handgelenk. Two-a-Day stellte das Glas weg und lehnte sich mit ausdruckslosem Gesicht zurück. Der Mann lächelte Bobby an. »Count
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