Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
Speckstreifen in den in Rübe n kraut gebackenen Bohnen. Geschnittenes Brot, ein gr o ßer Tiegel Butter und mehrere Kannen mit dampfendem Ka f fee rundeten das Mahl ab. Ich erinnere mich nicht, ob es bei jener Mahlzeit irgendwelche Tischgespräche gab, die über die höfliche Bitte, diese Schüssel oder jene Ka n ne herübergereicht zu bekommen, hinausgingen. Wir alle aßen, oder, wie mein Vater es ausgedrückt hätte, »hauten rein wie die Landsknechte«, und ließen nicht einen Kr ü mel auf einem der Teller oder in einer der Schüsseln z u rück. Als ich mir schließlich den Bauch bis kurz vorm Platzen vollgeschlagen hatte, überkam mich der seh n süchtige Wunsch nach einem Nickerchen. Aber daraus wurde nichts. Stattdessen mussten wir zurück zu unserer Unterkunft marschieren und unsere Bücher und Stifte für Pionierwesen und Zeichnen holen.
Diese beiden Fächer wurden zusammen vom selben Lehrer unterrichtet. Ich mochte ihn sofort und empfand ihn als den mit Abstand besten von unseren Lehrern. Ganz sicher war er der älteste: ein groß gewachsener Mann, von dem das Alter nur noch Knochen und Sehnen übriggelassen hatte. Aber noch immer hatte er die stolze Körperhaltung eines vorzüglichen Reiters. Hauptmann Maw, so hieß er, sagte uns, er glaube nicht, dass wir di e se Fächer ausschließlich aus Büchern lernen könnten; vielmehr müssten wir das Gelernte sofort praktisch a n wenden, damit es sich in unseren Köpfen verfestige. Sein Klassenzimmer war angefüllt mit einem phantastischen Sortiment von Modellen von Brücken und Uferböschu n gen, von maßstabgetreuen Nachbauten berühmter Scha u plätze von Schlachten, altertümlichen Wurfmaschinen, Pontonbrücken, Karren und Befestigungsanlagen aller Art. Er zwang uns nicht, die ganze Stunde lang still si t zen zu bleiben, sondern forderte uns auf, unsere Plätze zu verlassen und seine Sammlung zu begutachten, und gab uns auf, bis zum Ende der Stunde drei aus der Vielzahl der Modelle zu zeichnen. Ich freute mich für Spink, dass Hauptmann Maw eine große Auswahl verschiedener Ze i chengeräte besaß und uns aufforderte, ausgiebig G e brauch davon zu machen; denn Spink hatte nichts, keinen Zirkel, kein Lineal, ja nicht einmal Blei- oder Buntstifte. Mit diesen versorgte ihn Maw wie selbstverständlich, verbunden mit dem Kommentar, den ehemaligen Sch ü lern, die sie vergessen hätten, würde ihr Fehlen wohl kaum auffallen, sonst wären sie ja wohl längst geko m men, sie zu holen.
Ich teilte mir meine Zeit gut ein und zeichnete drei verschiedene Katapulte und Wurfmaschinen. Ich war sehr zufrieden mit meinen Versuchen, denn im Zeichnen war ich immer sehr gut gewesen und hatte schon als Zwölfjähriger eine Brücke für einen Bach mit steilen Uferbänken in der Nähe unseres Hauses entworfen. Spink, der so begeistert von den Zeichengeräten zu sein schien wie ein kleiner Junge von seinen neuen Spiels a chen, verbrachte die ganze Zeit mit dem ehrgeizigen Versuch, eine der topographischen Schlachtszenen so detailgetreu wie möglich zu Papier zu bringen. Mir en t ging nicht, dass am Ende der Stunde, als wir unsere A r beiten abgaben, Hauptmann Maw mit keinem Wort e r wähnte, dass Spink bloß ein einziges Blatt eingereicht hatte. Statt Spink zu tadeln, sagte er bloß: »Wie ich sehe, sind Sie ungeübt, aber Begeisterung und Hingabe können eine Menge wettmachen, junger Mann. Wenn Sie zusät z liche Unterstützung brauchen, kommen Sie doch nach dem Ende des Unterrichts zu mir in mein Büro.« Nach seinem demütigenden Erlebnis in Mathe war diese freundliche Aufmunterung Balsam für seine Seele, und sie erwärmte ganz gewiss mein Herz für Hauptmann Maw.
Ich verließ das Gebäude, erleichtert, für den Tag mit dem Unterricht fertig zu sein. Sogar Unteroffizier Dent schien besserer Laune, als er uns antreten und zurück nach Haus Carneston marschieren ließ. Freilich ließ er es sich nicht nehmen, abermals neben Gord herzulaufen und ihn zu kritisieren. Wieder nannte er ihn Gorge, und er versprach ihm, dass er ihn noch vor dem Ende seines e r sten Jahres so »dünngehobelt« haben würde »wie eine Bohnenstange«. Gord strengte sich nach Kräften an, mit u ns Schritt zu halten, aber seine Beine waren einfach zu kurz, so dass er mehr schlingerte und hoppelte, als dass er marschierte. Dent piesackte ihn während des gesamten Weges zu unserem Wohnheim und erntete dabei nicht wenige Lacher von Seiten der anderen Kadetten. Dent war ein witziger Kopf, und die spitzen
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