Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
wollte nicht als ignorant gelten, aber auch nicht als »zu etepet e te«, um sich mit den schlichten, männlichen Genü s sen eines Kavallamannes abzugeben. Zu etepetete war nur einen Schritt entfernt von weich, von wehleidig, von jammerlappig. Ich beneidete ihn nicht um das Dilemma, in dem er steckte. Wäre ich ein Junge gewesen, der da r auf b rennt, sich vor einem Raum voller Kadetten ausz u zeichnen, hätte ich wahrscheinlich auch nach dem Köder geschnappt.
»Klar kenn ich das«, erwiderte Caulder patzig.
»Tatsächlich?« Trist sprach mit schleppender Stimme, und er ließ seine Frage einen Moment wirken, bevor er nachhakte: »Schon mal welchen probiert?«
Der Junge sagte nichts, sondern starrte ihn nur an.
»Ich zeig dir mal, wies geht«, sagte Trist freundlich. »Pass gut auf.« Er brach ein Stück von dem Priem ab. »Du darfst ihn dir nicht auf die Zunge legen, klar? Du schiebst ihn dir zwischen Zähne und Unterlippe. So.« Fachkundig hineingesteckt, war der Priem nur noch als winzige Wölbung von Trists Unterlippe auszumachen. Er nickte weise mit dem Kopf. »Du auch einen, Rory?«
»Aber immer«, antwortete Rory begeistert. Ich wusste, dass er Tabak kaute, ich wusste aber auch, dass er zu knapp bei Kasse war, um einen Zweitjährler zu best e chen, dass dieser ihm einen Priem aus der Stadt mi t brachte. Er trat vor, um den dargebotenen Priem entg e genzunehmen, brach sich ein Stück ab und steckte es sich in den Mund. »Ah, das tut gut!«, rief er schließlich.
»Caulder?«, fragte Trist und hielt dem Jungen den Riegel aus gepresstem Tabak hin.
Alle Blicke waren auf ihn gerichtet. Außer dem von Spink natürlich. Dessen Bleistift hatte nicht innegehalten. Sein Fleiß war ein unausgesprochener Tadel, der uns a l len galt, aber selbst Gord schien fasziniert davon, wie Trist den Knaben Caulder verführte. Trist war großartig, so entspannt und gelassen, wie er da stand und sich mit dem Ellenbogen auf den Sims des Kamins stützte. Er gehörte zu den seltenen Männern, die in einer Uniform einfach blendend aussehen. Jeder von uns im Raum trug den gleichen grünen Rock, die gleiche grüne Hose und das gleiche weiße Hemd, aber Trist sah aus wie jemand, der sie trug, weil er sie sich bewusst ausgesucht hatte, und nicht, weil er sie tragen musste. Seine Schultern w a ren breit, seine Hüften schmal, und seine glänzenden schwarzen Stiefel schienen die Waden seiner langen Be i ne regelrecht zu umschmeicheln. Mit unserem strengen militärischen Haarschnitt sahen die meisten von uns aus wie frisch geschorene Schafe, oder – wie Rory es tre f fend genannt hatte – wie »abgebrühte Schweinsköpfe«. Aber Trists dichte blonde Locken umhüllten seinen Kopf wie eine eng anliegende g oldene Mütze – und standen nicht wie bei mir ab wie ein schlecht gemähtes Stoppe l feld. Wenn je ein junger Mann das Idealbild eines Kava l lakadetten verkörpert hatte, dann war es Trist. Wie hätte irgendjemand, der sich nach Anerkennung und Respekt sehnte, ein solches Angebot von Kameradschaft au s schlagen können?
Caulder konnte es nicht. Gebannte Stille herrschte, als der Junge vortrat und mit prahlerischer Miene rief: »Da sag ich nicht nein!«
»Das nenn ich einen echten Kerl!«, rief Trist anerke n nend. Er brach ein sehr großzügiges Stück von dem scharfen Zeug ab und gab es dem Jungen. Caulder stec k te sich den ganzen Priem in den Mund und versuchte dann tapfer, trotz der Wölbung zu lächeln, die in ihrer Größe an einen aufgeblasenen Ochsenfrosch erinnerte.
»Kommt, lasst uns rausgehen und einen kleinen Sp a ziergang machen, bevor der Zapfenstreich uns wieder auf die Stube verbannt«, forderte Trist ihn und Rory auf. Als sie den Raum verließen, verfärbte sich Caulders Gesicht um die Augen herum bereits rot. Rory und Trist, beide geübte Tabakkauer, plauderten darüber, was an jenem Tag so passiert war, während ihre Stiefel die Treppe hi n unterklackerten. Für einen kurzen Moment noch hielt die Stille im Raum. Dann fühlten sich Oron und ein paar a n dere Kadetten plötzlich bemüßigt, aufzustehen und dem Trio auf Zehenspitzen die Treppe hinunter zu folgen. Ihre Heiterkeit hielten sie dabei nur mit Mühe im Zaum.
»Ich wette, er schafft es nicht einmal bis zum zweiten Treppenabsatz«, sagte Nate leise. Kort zog skeptisch eine dunkle Augenbraue hoch und ging dann leise quer durchs Zimmer, um Trist und die anderen besser im Auge beha l ten zu können.
Jemand kicherte leise, und dann erfüllte wieder Stille
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