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Nevare 01 - Die Schamanenbrücke

Titel: Nevare 01 - Die Schamanenbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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und nicht zum Soldaten. Jedes Mal, wenn jemand ihn mit Diakon Gord anredete, spürte ich leisen Zweifels hinsichtlich seiner Geschichte. Ich bin sicher, dass Gord sich noch weit stärker gekränkt fühlte.
    Gord ertrug auch dies mit stoischer Ruhe, wie übe r haupt all die Hänseleien, denen er fortwährend ausgesetzt war. Stoisch wie ein Priester, dachte ich eines Tages spontan und versuchte, den Gedanken sofort wieder zu unterdrücken. Gord besaß ein geradezu unmenschliches Vermögen, Spott zu ertragen. Ich glaube, sogar Trist b e dauerte seine Gemeinheit am nächsten Tag, als er bei Tisch »Diakon Gord« gedankenlos bat, ihm das Brot zu reichen, und Unteroffizier Dent sich des Namens sofort bemächtigte und ihn fortan bei jeder sich bietenden G e legenheit benutzte. Er verbreitete sich wie ein Lauffeuer und war bald bei den Zweitjährlern in aller Munde. Wir hatten wenig Kontakt zu den Zweit- oder Drittjährlern, doch noch ehe der Tag um war, hatten einige von ihnen, als wir auf dem Weg zum Unterricht an ihnen vorbeima r schierten, schon höhnisch nach Diakon Gord gerufen, er möge doch kommen und ihnen seinen Segen erteilen. Als das passierte, hatten wir das Gefühl, der Spott richte sich gegen uns alle, und ich konnte den Ärger auf Gord, der sich bei uns breit machte, fast körperlich spüren. Es war schwer, nicht böse auf ihn zu sein wegen des Spotts, der uns alle mit einschloss.
    So stoisch Gord die Hänseleien hinnahm, so sehr ä r gerte sich Spink darüber. Gewöhnlich merkte man es kaum – ein wütender Blick oder ein Ballen der Fäuste oder ein Hochziehen der Schultern war alles, was er nach außen hin zeigte. Wenn es innerhalb unserer Unterkunft geschah, machte er manchmal eine zornige Bemerkung und forderte den Übeltäter auf, den Mund zu halten. Ein paarmal gerieten er und Trist sich darüber beinahe in die Haare. Allmählich wurde mir klar, dass Spink die eigen t liche Zielscheibe war, wenn Trist Gord hänselte. Als ich Spink darauf ansprach, sagte er, dass er sich dessen b e wusst sei, aber seine Reaktion nicht unter Kontrolle ha l ten könne. Wenn Trist ihn direkt angegriffen hätte, hätte sich Spink wahrscheinlich besser in der Gewalt gehabt. Irgendwie war er zu Gords Beschützer geworden, und jedes Mal, wenn er in dieser Rolle versagte, nagte das in ihm. Sollte das jemals zu einer handgreiflichen Ausei n andersetzung führen, war zu befürchten, dass einer von uns von der Akademie geworfen werden würde.
    In jener letzten Woche vor unseren Ferien kam uns j e der Tag länger vor als der vorausgegangene. Die Kälte und die Nässe und die bereits am Nachmittag früh einse t zende Dunkelheit schienen unsere Schulstunden und s o gar unsere Drillübungen unendlich in die Länge zu zi e hen. Wenn wir exerzierten, schwankte das Wetter immer zwischen eiskaltem Nieselregen und Schnee. Unsere wollenen Uniformen sogen sich voll und wurden schwer, und unsere Ohren und Nasen brannten vor Kälte. Wenn wir nach dem Verzehr unserer abendlichen Suppe auf unsere Stuben zurückkehrten, dampften und müffelten unsere Uniformen vor sich hin, bis die Luft schwanger schien von der Erinnerung an Schafe. Wir setzten uns an unsere Arbeitstische und versuchten, die Augen o f fen zu halten, während unsere durchgekühlten Körper sich langsam in dem ständig kalten Gemeinschaftsraum au f wärmten. Unsere Studienmentoren spornten uns rege l mäßig an, damit wir wach blieben und unsere Aufgaben machten, aber mehr als ein Bleistift fiel aus einer e r schlafften Hand, und mehr als ein Kopf sackte auf die Brust und zuckte jäh wieder hoch. Es war eine langsame und von Kopfschmerzen begleitete Tortur, dort zu sitzen. Ich füh l te mich niedergedrückt von dem Wissen, dass die Arbeit getan werden musste, und z u gleich nicht in der Lage, irgendein Interesse und i r gendwelche Ene r gien dafür aufzubringen. Wir waren allesamt hochgradig g e reizt, und hitzige Worte flogen mehr als einmal hin und her, weil jemand mit der Tinte gekleckert hatte oder e i ner am Tisch wackelte, während ein anderer schrieb.
    An jenem Abend begann es mit eben so einem Zw i schenfall. Beim Umschlagen einer Seite in seinem Buch war Spink mit dem Ellenbogen an Trists Tintenfass g e stoßen. »Pass doch auf!«, fuhr Trist ihn barsch an.
    »Es ist ja nichts passiert!«, versetzte Spink giftig.
    Eine Lappalie, aber sie sorgte dafür, dass unser aller Nerven bis zum Zerreißen gespannt waren. Wir versuc h ten, uns wieder auf unsere Aufgaben zu

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