Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
immer noch mit Herzlic h keit. Wenn ich Trists Freund gewesen wäre, hätten diese Verbindungen und Beziehungen auch mir offengesta n den. Aber ich hatte Spink zuerst kennengelernt und mich, ganz der Empfehlung meines Vaters folgend, mit ihm angefreundet. Hatte mein Vater sich geirrt?
Noch während mich Zweifel und ein schlechtes G e wissen wegen dieses Zweifels beschlichen, fiel mir auf, dass etwas fehlte. »Mein Stein ist weg!«
Rory und Spink glotzten mich an, als wäre ich nicht ganz bei Verstand.
»Der Stein, den ich von zu Hause mitgebracht habe. Ich habe ihn immer in diesem Regal aufbewahrt. Er war ein, nun, ein wichtiges Andenken.«
»Ein Geschenk von deinem Mädchen?«, fragte Rory, während Spink p ragmatisch vorschlug: »Hast du schon einmal unter deiner Koje nachgeschaut?«
Ich war auf den Knien und schaute unter jedem Bett und in allen Ecken des Raumes nach, als ich Gord z u rückkommen hörte. Er wurde mit einem lauten, vie l stimmigen Chor von Stimmen begrüßt; einige sagten ihm, was passiert war, während andere ihn aufforderten, er so l le sofort saubermachen. Ich erreichte die Tür gerade noch rechtzeitig, um sehen zu können, wie Ruhe und Entspa n nung aus seinem Gesicht wichen und seinem g e wohnten Gesichtsausdruck von resignierter Wachsamkeit Platz machten. Mir wurde zum ersten Mal bewusst, wie sehr er sich seit dem ersten Tag an der Akademie verä n dert hatte. Wir folgten ihm alle zur Tür seiner Stube, um zu gaffen.
Ich glaube, die anderen waren von seiner Reaktion enttäuscht. Er ging in das Zimmer, schaute auf die ru i nierten Bücher, das verschmutzte Bettzeug und die vol l gepinkelten Kleider und gab nicht einen Laut von sich. Er fluchte nicht, er stampfte nicht mit dem Fuß auf. Er holte nur tief Luft, so tief, dass sein Mantel sich über se i nen Rücken spannte. Ich fühlte mich an den Rücke n schild eines Käfers erinnert, als er den Kopf zwischen die Schultern zog. »Was für eine Schweinerei«, sagte er schließlich. Er schlüpfte aus seinem Mantel und hängte ihn in den Spind. Seinen Ranzen, den er über das W o chenende mitgehabt hatte, stellte er daneben auf den Fußboden. Ein Sträußchen steckte am Revers seines Mantels, und ich fragte mich, ob er von dem Mädchen stammte, dem er versprochen war. Konnte sie, konnte irgendeine Frau ihn lieben, so fett und unansehnlich, wie er war? War es das, was ihm Kraft gab, zu den uri n durchtränkten Decken zu gehen und sie zwischen seinen Büchern und Kleidern hervorzuzerren? Als er seine Bet t decke aus dem Haufen herauszog, regnete ein Schauer gelber Tropfen auf den Fußboden. Sogleich erscholl ein kollektiver Chor angewiderten Stöhnens, untermalt von entsetztem Lachen von der Art, wie es Männer in schlimmen Situationen mitunter überkommt.
Ich trat vor. »Sergeant Rufet hat gesagt, ich soll dir sagen, dass er dir sauberes Bettzeug gibt.«
Gord blickte zu mir auf, und für einen Moment ve r schwand dieses Undurchsichtige in seinen Augen. Ich sah den Schmerz, den ihm dieser Übergriff zugefügt ha t te. Aber seine Stimme war ruhig, als er antwortete: »Danke, Nevare. Dann fang ich wohl besser damit an.«
»Ich muss mich jetzt an meine Hausaufgaben setzen. Spink und ich sind während unserer Abwesenheit nicht fertiggeworden.« Ich entschuldigte mich dafür, dass ich ihm nicht half, und ich wusste es. Ich ließ ihn stehen und holte meine Bücher und ging zum Arbeitstisch. Spink kam eine Weile später herein und setzte sich zu mir. Als ich zu ihm aufschaute, sagte er: »Ich kann ihm da auch nicht viel helfen. Er hat sein Bett frisch bezogen und se i ne Sachen so gut es geht trockengerieben.« Er schlug seine Bücher auf. Ohne mich anzusehen fügte er hinzu: »Seine ganzen Zeichnungen und Entwürfe sind versaut. Er hat mich gefragt, ob ich glaube, ob du ihn wohl deine auf sauberes Papier kopieren lässt, und ich habe gesagt, ich denke schon, dass du das machst.«
Ich nickte und beugte mich wieder über meine Bücher. Kurze Zeit darauf hörte ich das Geräusch einer Scheue r bürste.
Dieser Vorfall stellte einen Wendepunkt in meinem ersten Jahr auf der Akademie dar. Danach war die Kluft innerhalb unserer Zimmer so eindeutig, dass wir ebenso gut verschiedene Uniformen hätten tragen können. Spink, Gord und ich wurden als eine Einheit betrachtet, und Kort und Natred bewegten sich in einer separaten U m laufbahn um uns. Sie sprachen abends auf der Stube mit uns und gingen uns nie aus dem Weg, aber weder begle i teten sie uns wie
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