Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
irgendetwas we g zulassen. Ich erzählte, was der Doktor zu mir gesagt ha t te, und hoffte, ihn damit nicht bloßzustellen. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er nickte, die Lippen zu einem Strich zusammengepresst. Als ich erzählte, wie er Cau l der nach Hause geschickt hatte und wie der Junge darauf reagiert hatte, runzelte Oberst Stiet die Stirn. Seine Mi e ne verfinsterte sich noch mehr, als ich von meiner zwe i ten Begegnung mit dem Jungen in jener Nacht berichtete. Ich achtete peinlich darauf, nur ja keine Einzelheit ausz u lassen von dem, was ich gesehen und gehört hatte, als ich Tiber fand. Ich warf einen verstohlenen Blick auf ihn. Er blickte starr geradeaus, das Gesicht ausdruckslos. Als ich den Kadetten Ordo erwähnte, nickte einer der Männer am Tisch, doch als ich den Namen des Kadetten Jaris nannte, sah ich, wie Stiet leicht zusammenzuckte, als sei er übe r rascht. Sein Name war also in dieser Angelegenheit noch nicht genannt worden. Ich hätte gern Tibers Gesicht g e sehen, traute mich aber nicht, ihn anzuschauen. Ich fragte mich, ob er die Angreifer gekannt hatte, und wenn ja, ob er sie genannt oder ob er ihre Namen für sich behalten hatte. Als ich meine Aussage beendete, vergaß ich nicht zu erwähnen, dass Sergeant Rufet gesagt hatte, Kadett Tiber trinke keinen Alkohol. Ich hoffte, den Sergeant damit nicht in Schwierigkeiten zu bringen, aber es schien mir die einzige Möglichkeit zu sein, wie ich einen Scha t ten des Zweifels auf Tibers angebliche Trunkenheit we r fen konnte. Ich hatte peinlich genau darauf geachtet, nur das zu erzählen, was ich beobachtet hatte, und mit ke i nem Wort die Schlussfolgerungen zu erwähnen, die ich daraus gezogen hatte.
Als ich fertig war, ließ Oberst Stiet mich erst einmal eine Weile schmoren. Dann raschelte er mit einigen P a pieren, die vor ihm lagen, und sagte streng: »Ich werde Ihrem Vater einen Brief zu diesem Vorfall schicken, K a dett Burvelle. Ich werde ihn wissen lassen, dass ich der Auffassung bin, er sollte Sie dazu anhalten, künftig mi t teilsamer zu sein, wenn Sie irgendetwas Ungehöriges auf dem Gelände der Akademie wahrnehmen sollten. We g treten.«
Darauf gab es nur eine mögliche Antwort. »Jawohl, Sir!« Doch als ich die Hand zum Salutieren hob, sagte ein Mann am Tisch: »Einen Moment. Ich kann dem Ju n gen doch sicher ein paar Fragen stellen, wenn ich möc h te?«
»Ich bin nicht sicher, ob das angebracht wäre, Lord Tiber.«
»Verdammt, mich interessiert nicht, was ›angebracht‹ ist! Ich will die Wahrheit wissen!« Der Mann stand plötzlich auf und zeigte mit dem Finger auf mich. »K a dett! Glauben Sie, dass mein Sohn betrunken war? Haben Sie ihn in einer Kutsche auf dem Campus ankommen sehen? Wüssten Sie irgendeinen Grund, warum er seine Schulbücher mit sich hätte herumschleppen sollen, wenn er nach Alt-Thares gefahren wäre, um sich zu betrinken? Gewannen Sie aus dem Verhalten der anderen Kadetten den Eindruck, dass sie wollten, dass Sie gingen, damit sie zu Ende bringen konnten, was sie begonnen hatten?« Seine Stimme wurde mit jeder Frage lauter. Ich hatte von Leuten gehört, dass sie »in ihren Stiefeln schlotterten«. Genau das tat ich jetzt. Ich glaube, wenn der Tisch nicht zwischen uns gestanden hätte, wäre er auf mich losg e gangen. Ich hielt stand, aber es fiel mir verdammt schwer.
»Lord Tiber! Ich muss Sie bitten, sich hinzusetzen. Kadett Burvelle, wegtreten! Gehen Sie zurück in Ihren Unterricht!«
»Verdammt, Stiet, die Karriere meines Sohnes steht hier auf dem Spiel! Der Rest seines Lebens! Ich will die Wahrheit wissen! Die ganze Wahrheit!«
»Die Karriere Ihres Sohnes ist nicht in Gefahr, Lord Tiber. Wenn Burvelle sich sofort gemeldet hätte, wäre ich niemals auf die Idee gekommen, ihn von der Akad e mie zu relegieren. Alle disziplinarischen Maßnahmen gegen ihn sind wieder aufgehoben, und der Vorfall wird aus seiner Akte gelöscht werden. Stellt Sie das zufri e den?«
»Nein!«, brüllte der Mann. »Das Einzige, was mich zufriedenstellen würde, ist Gerechtigkeit. Bestrafung d e rer, die meinen Sohn überfallen und sein Tagebuch g e stohlen haben, in dem er die Übergriffe g egen Kadetten aus dem neuen Adel dokumentiert und protokolliert hat. Eine gründliche Ausmerzung der Korruption, die sich mit Ihrer Duldung in dieser Institution breitgemacht hat. Das würde mich zufriedenstellen!«
»Kadett Burvelle, wegtreten habe ich gesagt! Sie sol l ten sich einen Befehl nicht zweimal erteilen lassen mü s sen!«
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