Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
sonderlich.« Er seufzte. »Schau, Spink, ich weiß, dass er dir sehr viel hilft, und ich denk mal, dass du und Nevare ihn beide recht gut leiden könnt. Aber ihr müsst ja auch nicht mit ihm auf einer Stube z u sammenleben. Er stinkt ganz furchtbar, wenn er vom Marschieren zurückkommt, wie verdorbener Speck. Und er schwitzt immer so. Und er macht ständig Lärm; sein Bett quietscht nachts unter seinem Gewicht, und er liegt auf dem Rücken und schnarcht wie ein Schwein. Er ist so verdammt fett, dass man jedes Mal, wenn er herei n kommt, das Gefühl hat, der Raum ist überfüllt. Ich hab gesehen, wie ihr zwei euch nebeneinander am selben Waschbecken rasiert, wenn ihr es eilig habt. Versucht das mal mit Gord. Da ist einfach kein Platz. Und er … ach, er geht einem einfach auf die Nerven. Er will immer beso n ders freundlich sein. Er fordert die Dinge, die ihm passi e ren, geradezu heraus durch die Art und Weise, wie er Aufmerksamkeit auf sich zieht. Warum muss er so furchtbar dick sein? Das erste Mal, als ich ihn nackt g e sehen habe, hätte ich beinahe gekotzt. Er ist ganz bleich und wabbelig, und … Also, es war Trist, der das als E r ster gesagt hat, aber ich muss zugeben, dass ich das sehr lustig fand. Bei der Wampe, die er vor sich herschiebt, muss man sich fragen, ob er überhaupt weiß, dass er e i nen Schwanz hat. Er hat ihn bestimmt seit ein paar Ja h ren schon nicht mehr gesehen.«
Rory lachte laut über seinen eigenen Witz. Spink und ich nicht. Mir wurde klar, dass ich vor einer Woche auch noch gelacht hätte. Aber jetzt empfand ich es als einen persönlichen Affront, als sei ein derber Witz über Gord etwas, das sich gleichzeitig auch gegen mich richtete. Nicht, weil wir seine Freunde gewesen wären; ich fühlte mich ihm persönlich immer noch nicht sonderlich ve r bunden. Sondern weil diejenigen, die es auf ihn abges e hen hatten, auch uns angegriffen hatten und uns drei d a mit unfreiwillig zu einer Art Einheit zusammeng e schmiedet hatten. Ob es uns gefiel oder nicht, wenn sie Gord lächerlich machten, machten sie damit auch uns lächerlich. Das gefiel mir überhaupt nicht.
Rory warf angesichts unseres Schweigens die Hände in die Luft und zuckte abwehrend mit den Schultern. »Nun denn, seht es eben so, wenn ihr wollt. Es ist nicht persönlich gemeint. Ich mag euch zwei.« Er holte Luft und fuhr mit gesenkter Stimme fort: »Als ich zur Ak a demie abgereist bin, hat mein Vater gesagt: ›Sohn, such dir deine Freunde gut aus. Lass sie sich nicht dich auss u chen; du bist derjenige, der entscheidet, wer deine Freu n de sind. Die Bedürftigen und Schwachen sind immer die ersten, die versuchen werden, sich mit denen anzufreu n den, die sie für stark halten. In der Kavalla braucht ein Mann starke Verbündete, die Rücken an Rücken mit ihm kämpfen, keine Schwächlinge, die sich hinter i hm Ve r steckens Als ich euch zwei zum ersten Mal gesehen habe, wusste ich sofort, dass ihr stark seid und dass ich auf euch zählen kann, wenn wir mit dem Rücken zur Wand stehen. Und als ich Gord zum ersten Mal sah, wusste ich, dass er nicht das Stehvermögen und die Kraft besitzt, die ein echter Offizier haben muss. Er ist eine Belastung für die, die sich seiner annehmen. Deshalb versucht er i m mer, sich mit allen gut zu stellen und jedem gefällig zu sein. Er weiß, dass er Freunde braucht, die ihn beschü t zen, wenn er jemals in eine schwierige Situation gerät. Ihr wisst, dass ich Recht habe.«
Ich stellte das letzte Buch zurück ins Regal und stand dann einen Moment stumm da und dachte über das nach, was Rory gerade gesagt hatte. Weil Spink mein Freund war, hatte ich mich gleichzeitig auch dazu entschieden, zu Gord zu halten. Was wiederum gleichzeitig au s schloss, dass ich mit Trist befreundet war. Wäre ich nicht mit Spink und Gord befreundet gewesen, hätte ich einer von Trists Gefährten sein können. Ich mochte Spink und wusste instinktiv, dass unsere Wertvorstellungen in vi e lerlei Hinsicht besser miteinander zu vereinbaren waren als meine und Trists. Aber ich wusste auch, dass Trist charismatischer war, geselliger und … ich suchte nach dem richtigen Wort und hätte beinahe laut gelacht, als ich es fand. Moderner. Trist war fleißig dabei, Verbindungen zu knüpfen und Freunde unter den älteren Kadetten zu gewinnen, sogar unter denen aus dem alten Adel. Er ha t ten am Tisch des Akademieleiters gegessen, und selbst jetzt, da Caulder die meisten aus dem neuen Adel offen verachtete, begegnete er Trist
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