Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
blühenden Büschen, nicht weit vom Rande der Welt. Sie lächelte mich freundlich an, als sie mich warnte: »Du bist noch nicht stark genug. Hab Geduld. Du musst noch mehr von ihrer Magie in dich aufnehmen, um von Kraft erfüllt durch ihre Welt zu wandeln. Wenn du zu früh versuchst, dich mit ihm zu vereinigen, kannst du seiner nicht Herr werden. Er wird dich verraten.«
Wir saßen zusammen unter dem Blätterdach des Wa l des. Ein sanfter Regen fiel. Sie hatte mir ein Blatt mitg e bracht, das zu einer Schale gefaltet war. Darin war eine dicke, süße Suppe, heiß und köstlich. Ich trank sie leer und leckte unter ihrem beifälligen Blick die Schale aus.
Sie hielt selbst ein Blatt, das mit der gleichen sämigen Substanz gefüllt war. Langsam schlürfte sie die Schale leer, leckte sich die Lippen und lächelte. Ihr beim Essen zuzuschauen machte mich hungrig auf sie. Sie war so füllig, so vollkommen. Sie stand für Großzügigkeit und Reichtum, Genuss, Gefälligkeit, Üppigkeit. In ihr wurde nichts verweigert, nichts versagt. Ich wollte sie wieder haben. Nein, mehr noch, ich wollte sie sein, durch und durch von Magie erfüllt. Sie sah, wie ich sie anschaute, und lächelte kokett.
»Iss mehr!«, ermahnte sie mich. »Bald werde ich dir zeigen, wie du sie dir selbst verschaffst.« Sie reichte mir ein weiteres Blatt voller Suppe. »Iss dich daran satt. Es ist ihre Magie. Ist sie nicht köstlich? Iss dich richtig satt. Iss und füll dich mit Magie.« Sie beugte sich zu mir, als sie mir das Blatt reichte, und plötzlich schmeckte die Suppe nicht mehr süß. Sie war faulig und dick, wie ei n gedicktes Blut, süß, ja, aber süß in der Art von Aas, das von Fliegen umschwirrt wird. Ich prallte angewidert z u rück.
»Ich will nicht vollgestopft mit Magie sein! Ich will Offizier in der Kavalla des Königs werden! Ich will me i nem König dienen und Carsina heiraten und meine Tag e bücher heim zu meiner Familie schicken. Bitte. Lass mich doch einfach das sein, was ich sein soll. Lass mich los!«
»Ganz ruhig, Burvelle, ganz ruhig! Wärter! Mehr Wasser, sofort! Trinken Sie das, Burvelle. Trinken Sie es aus.«
Meine Zähne klapperten gegen den Rand des Glases. Kaltes Wasser schwappte heraus und tropfte mir auf die Brust. Mit großer Anstrengung gelang es mir, die ve r klebten Augen zu öffnen. Doktor Amicas drückte mich sanft in meine Kissen zurück. Er hatte einen Dreitag e bart, und seine Augen waren blutunterlaufen. Ich ve r suchte, ihm begreiflich zu machen, dass ich keine Schuld an Caulders Zustand hatte. »Ich habe Caulder keinen Schnaps gegeben, Herr Doktor! Ich habe ihn lediglich nach Hause geschafft. Sie müssen mit Oberst Stiet reden. Sonst ist alles aus für mich!«
Er starrte mich verwirrt an, dann sagte er: »Das ist im Moment die geringste Ihrer Sorgen, Kadett. Aber die Menschen lügen selten im Fieber. Ich werde bei Oberst Stiet ein Wort für Sie einlegen. So er denn überlebt. R u hen Sie sich jetzt aus. Sie brauchen vor allem Ruhe.«
»Der Staub!«, krächzte ich. »Hat er Ihnen von dem Staub erzählt? Der Kot! Kot von einem kranken Kind.«
Der Doktor drückte mich mit sanfter Gewalt zurück in mein Bett. Ich hielt seine Hände fest. »Ich habe uns ve r raten, Herr Doktor! Ich habe das ›Loslassen‹-Zeichen gemacht, und daran haben die Fleck erkannt, dass ich es war. Sie wussten, sie hatten den Ort erreicht, an dem die Offiziere der Kavalla ausgebildet werden. Sie ließen den Staub und damit den Tod auf uns los. Sie haben auf mich gewartet, auf das Zeichen. Ich bin ein Verräter, Herr Doktor. Lassen Sie nicht zu, dass er ich wird. Er hat vor, jeden hier zu töten, jeden Soldatensohn. Und jeden in Alt-Thares, sogar den König und die Königin.« Ich ve r suchte, seine Hände wegzudrücken, um dem Bett zu en t kommen.
»Ganz ruhig, Nevare. Ruhen Sie sich aus. Sie sind nicht bei sich. Wärter! Ich brauche ein paar Gurte hier!«
Ein alter Mann in einem fleckigen Kittel kam an mein Bett gehastet. Während der Doktor mich festhielt, zurrte er einen Leinenstreifen um mein Handgelenk. »Nicht so fest!«, schalt der Doktor ihn. »Ich will ihn nur in seinem Bett festhalten, bis das Delirium vorbei ist.«
»Los!«, sagte ich und machte das Zeichen. Der Le i nenstreifen fiel von meinem Handgelenk ab.
»So locker nun auch wieder nicht!«, fuhr der Doktor den Krankenwärter an.
»Aber ich hatte ihn fest verknotet, Sir. Ich schwör’s!«, wehrte dieser sich empört.
»Dann binden Sie ihn halt noch einmal
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