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Nevare 01 - Die Schamanenbrücke

Titel: Nevare 01 - Die Schamanenbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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anderen Ebene b e trachtet, auf der Ebene der praktischen Vernunft, wusste ich, dass ein großer Teil meiner Welt sehr wohl mit Blut erkauft worden war. Mein Vater sprach oft davon; unsere Soldaten, sagte er, insbesondere die Kavallaoffiziere, hätten »das neue Gernien mit ihrem Leben erkauft und dieses Land zu unserem gemacht, indem sie seine Scho l le mit dem Blut unserer Soldatensöhne tränkten«.
    »Ich bin nicht deiner Meinung!«, rief ich ihr entgegen, und da wurde m ir bewusst, dass ich gar nicht so laut hätte zu rufen brauchen. Irgendwie war ich, ohne es zu me r ken, ihr noch ein gutes Stück näher gekommen. Ich fra g te mich, ob mich womöglich der Wurzelpfad zu ihr hi n gezogen hatte. Ich schaute mich um, fand aber kein Indiz dafür.
    Jetzt lächelte sie – das Lächeln einer weisen alten Frau. »Die Wahrheit bedarf, um Wahrheit zu sein, nicht deiner Einsicht, junger Mann. Aber du brauchst die Wahrheit, um Einsicht in dich selbst zu bekommen. Und solange du diese Einsicht nicht gewonnen hast, bist du nicht real. Aber lass uns die Frage der Wertlosigkeit von Dingen, die mit Blut erkauft wurden, beiseite tun. Lass uns auf andere Weise versuchen, uns in Erinnerung zu rufen, wer du bist. Wir werden nicht durch das bestimmt, wofür wir sterben, sondern durch das, wofür wir leben. Willst du diese Wahrheit anerkennen?«
    Irgendwie hatte sich die ganze Situation verändert. Sie prüfte mich jetzt eher, als dass sie meiner Herausford e rung als Krieger begegnete. Ich hatte das Gefühl, dass sie die Brücke bewachte, indem sie mir abverlangte, dass ich mich als würdig erwies, sie zu überqueren. Wenn ich ihre Achtung errang, würde sie mich vorbeilassen. Ich brauchte kein Kidona zu sein, um die Brücke überqueren zu dürfen.
    Aus weiter Ferne, wie der Ruf eines Vogels an einem heißen Sommertag, drang Dewaras Stimme an mein Ohr. »Sprich nicht mit ihr! Sie wird deine Gedanken verdr e hen wie eine sich windende Ranke! Hör nicht auf ihre Worte! Greif sie an und töte sie! Es ist deine einzige Chance!«
    Sie erhob nicht die Stimme, um ihm eine Erwiderung zu geben. Fast sprach sie leise, als sie sagte: »Sei still, Kidona-Mann! Lass deinen ›Krieger‹ für sich selbst spr e chen!«
    »Töte sie, Soldatensohn! Sie trachtet danach, von dir Besitz zu ergreifen!«
    Doch seine Stimme klang so fern, so schwach, dass ich irgendwie das Gefühl hatte, seine Worte gälten nicht mir. Ich ließ sie an mir vorübergehen und dachte stattde s sen über die Worte der Baumfrau nach. Wir werden b e stimmt durch das, wofür wir leben, hatte sie gesagt. D e finierte ich selbst mich auch so? Durch das, wofür ich lebte? Durfte, musste ein Soldat über solche Fragen nachdenken?
    »Die Dinge, für die ich lebe, sind die gleichen wie die, für die ich mein Leben geben würde«, sagte ich, und ich dachte dabei an meinen König, mein Land und meine F a milie.
    Sie nickte bedächtig, wie das Blätterdach eines Ba u mes, das sich im Wind wiegt.
    »Das verstehe ich. Es ist vieles in dir, das für diese Dinge leben möchte. Ein größerer Teil von dir möchte lieber für sie leben als für den Respekt des Kidona-Mannes sterben. Er ist es, der dich ausgesandt hat, mich zu töten. Du trägst diesen Wunsch nicht in deinem wa h ren Herzen, sondern nur in dem Herzen, das er dir zu g e ben versucht hat. Er glaubt, er kann nicht verlieren. Du bist immer noch der Sohn seines Feindes. Wenn ich ste r be, hast du ihm gut gedient. Wenn du stirbst, erleidet er keinen wirklichen Verlust. Aber ich glaube, dass s o wohl mein Tod als auch deiner ein Verlust für dich w ä re. Was war dein eigentlicher Wunsch, Soldatensohn? Warum haben die Götter dich zu mir gesandt, warum hast du es geschafft, jede Falle unbeschadet zu umg e hen? Ich gla u be nicht, dass du dazu bestimmt bist, zu sterben, indem du versuchst, mich zu töten. Du bist zu Höherem b e stimmt. Du kommst als Waffe. Bist du eine Waffe der Götter, die sie mir zum Geschenk machen wollen?«
    »Ich verstehe dich nicht.«
    »Es ist eine ganz einfache Frage.« Sie beugte sich zu mir herüber und betrachtete mich eingehend. »Bist du in diese Welt gekommen, um Leben zu nehmen oder um es zu schenken?«
    »Wie meinst du das?«
    »Wie ich das meine? Ist das nicht klar? Ich bitte dich, eine Wahl zu treffen: Leben oder Tod? Welches von be i den verehrst du?«
    »Ich … das heißt … ich möchte … ich weiß es nicht! Ich weiß nicht, wie du das meinst!« Ich suchte in meinem Geist, aber ich fand keine

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