Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
ä cherlicher Hut aus Salbeizweigen und ein vernünftiger Führer als ein bares Haupt und idiotische Befehle von einem Narren, den der Hitzschlag getroffen hat.«
Es war nicht das erste Mal, dass er mir solche derben Geschichten vom Überleben erzählte. Ich fragte nie bei meinem Vater wegen dieser Geschichten nach, und n a türlich wäre ich nie auf die Idee gekommen, zu Hause über solche Dinge zu reden. Ich begriff, dass mein Vater, indem er mich in die Obhut dieses Mannes gab, sein Ei n verständnis signalisierte, dass Duril mir seine in der ha r ten Schule des Überlebens im Krieg gewonnenen Erfa h rungen vermittelte, wie krass auch immer sie sein moc h ten. Duril hatte vielleicht keinen edlen Stammbaum, aber er war Soldat durch und durch, in vielen Schlachten e r probt und gestählt, und als solcher respektierte ihn mein Vater.
In jener Nacht, als wir an einem qualmenden kleinen Feuer aus harzigen Zweigen in der Nähe eines von Dor n büschen umwehrten Wasserloches kampierten, lenkte er das Gespräch auf die Geschichte der Kavalla. Für ihn waren es keine Daten und fernen Orte und Strategien von Feldzügen. Für ihn war es die Geschichte seines Lebens. Kaum dem Knabenalter entwachsen, war er eingetreten. Damals taten die berittenen Streitkräfte wenig mehr, als an den bestehenden Grenzen Gerniens zu patrouillieren und die Fronten gegen die Flachländer zu halten. Zu j e ner Zeit war es keine Berufswahl, die Aussicht auf eine glänzende Karriere bot. Ich glaube, ich allein kannte D u rils tiefstes Geheimnis. Er war in Wahrheit gar kein ric h tiger Soldatensohn, sondern nur der vierte Sohn eines Schuhmachers aus Alt-Thares. Seine Familie hatte ihn in einem Akt fatalistischer Verzweiflung in die Kavalla des Königs gesteckt. Eine Stadt hat nur begrenzten Bedarf an Flickschustern. Wäre er in Alt-Thares geblieben, dann wäre er entweder zu Hause verhungert oder Straßenrä u ber geworden.
Er erzählte mir einige Geschichten aus dem Gernien jener Tage. Der »Lange Krieg« gegen Landsang hatte in den Tagen von König Darwell, dem Vater unseres g e genwärtigen Königs, mit unserer Niederlage geendet. Ganze Serien von Kämpfen hatten uns lediglich den Ve r lust unserer Küstenregion und unseres ergiebigsten Ber g baugebietes eingebracht. Landsang hatte unsere Häfen eingenommen und uns jeden Zugang zum Umschlung e nen Meer verwehrt. Seiner Häfen und der reichen Kohl e adern beraubt, die unser wichtigstes Exportgut hervorg e bracht hatten, war Gernien geschwächt wie ein Hunger n der. Unsere besiegte Marine war beschämt worden, uns e re Schiffe und unsere Häfen waren dahin. Unserem Heer und unserer Kavalla war es kaum besser ergangen; z u tiefst gedemütigt und zum Gespött des Volkes geworden, legten ihre Angehörigen ihre Uniformen ab und wurden zu Bettlern, und die, die es trotzdem vorzogen, im Die n ste des Königs zu verbleiben, fanden sich geschmäht und verhöhnt als Feiglinge und Nichtsnutze. Das waren die Verhältnisse, unter denen Sergeant Duril seine Karriere als Soldat begann. Seine erste Aufgabe bestand darin, den Kavallaoffizieren die Stiefel zu putzen, die sie ohn e hin nur noch selten anzogen, denn unsere einstigen Fei n de waren die Sieger, und es gab keine Schlachten mehr, in denen sich Ruhm und Ehre hätten wiedererlangen la s sen.
Duril hatte drei Jahre gedient, als König Darwell starb und König Troven den Thron erbte. Wenn man Duril reden hörte, hatte der junge König eigenhändig Gerniens scheinbar unaufhaltsames Abgleiten in die Verzweiflung aufgehalten. Er trauerte drei Tage lang um seinen Vater und zitierte dann, statt seinen Rat der Herren einzuber u fen, die Befehlshaber seiner Streitkräfte zu sich. Noch während er diese Gruppe um sich versammelte und ihr das Wenige, das noch an Mitteln in seiner leeren Schat z kammer übriggeblieben war, zum Wiederaufbau von Gerniens Streitmacht zur Verfügung stellte, begannen seine Edelleute vernehmlich zu murren und gaben deu t lich zu verstehen, dass sie nicht noch einmal einem K ö nig in die Schlacht gegen Landsang folgen würden: vier Generationen ununterbrochenen Krieges hätten sie nicht nur zu Besiegten, sondern auch zu Bettlern gemacht.
Aber es war nicht gen Westen auf Landsang und die verlorene Provinz, wohin der junge König Troven seinen Blick richtete. Nein. König Troven war der Überfälle der Flachländer in seine abgelegenen Siedlungen überdrü s sig. Er hatte entschieden, dass er, wenn sie die Grenzste i ne, die viermal
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