Neville, Katherine - Der magische Zirkel
trank ausgiebig Champagner und führte ein skandalöses Leben wie eh und je. Ich wollte wissen, wie sie sich jemand wie Wolfgang Hauser geangelt hatte, einen hohen Beamten der IAEA.
Wolfgang erzählte, er habe Zoe im März vergangenen Jahres in Wien bei einer Fünfzigjahrfeier der internationalen «Friedenswächter» aus dem Zweiten Weltkrieg kennengelernt, und während des Begrüßungsabends in einem Heurigenlokal hätten sie sich angefreundet. Zoe habe ihm nach zwei Flaschen neuen Weins genügend vertraut, um von dem Runenmanuskript zu erzählen. Danach habe sie ihn gebeten, ihr zu helfen.
Wolfgang sagte, Zoe habe die Runen, von denen ich jetzt eine Kopie besitzen würde, schon vor Jahrzehnten erworben. Woher und wie sie sie bekommen hatte, habe sie nicht verraten, nur daß es mit der Wagner-Ära vor der Jahrhundertwende zu tun hatte, als in Deutschland und Österreich großes Interesse an einer Rückbesinnung auf die angeblich höhere germanische Kultur aufkam. Gesellschaften wurden gegründet, so sagte er, die überall in Europa Runeninschriften von alten Steinmonumenten sammelten und entzifferten.
Zoe dachte, ihr Dokument sei selten und wertvoll und könnte vielleicht irgendwie mit den Manuskripten in Zusammenhang gebracht werden, die Sam von Zoes Bruder Earnest geerbt hatte. Sie sagte zu Wolfgang, es sei vielleicht sogar möglich, daß Sam Runendokumente besitze, die ihr bei der Identifizierung und Übersetzung der ihren helfen könnten. Aber nach Earnests Tod waren Zoes Bemühungen, Sam ausfindig zu machen, erfolglos gewesen.
Zoe hoffte, daß Wolfgang aufgrund seiner Stellung bei der Internationalen Atomenergiebehörde vielleicht über mich mit Sam Kontakt aufnehmen und diese Sache besprechen könnte, ohne den Rest der Familie zu behelligen. Trotzdem fand es Wolfgang eigenartig, daß sie sich ausgerechnet ihm, einem völlig Fremden, anvertraute.
Mir erschien dies durchaus verständlich. Zoe war zwar über achtzig, aber sie war nicht blind. Die Männer, mit denen sie sich abgegeben hatte, waren nicht immer reich gewesen, aber sie hatten durch die Bank phantastisch ausgesehen.
Wolfgang hatte sich also einverstanden erklärt, unsere Familie, mit der Zoe nicht mehr verkehrte, zu umgehen und Sam und mich zu finden, um uns für diese Sache zu begeistern; aber er hatte nicht sofort etwas unternommen, sondern erst, als er einen triftigen Grund hatte, um nach Idaho zu reisen. Er konnte nicht wissen, daß eine seiner angepeilten Kontaktpersonen bis dahin tot sein würde, und auch nicht, wie ich auf den Vorschlag seitens einer Verwandten aus dem Kreis derer, die von unserer Seite gemieden wurden, reagieren würde.
Es war sinnlos, Wolfgang zu erklären, daß ein solches Dokument, wäre es jemals auch nur für kurze Zeit in Sams Besitz gewesen, bereits entschlüsselt sein würde. Der einzige nie geknackte Code dieses Jahrhunderts wurde im Zweiten Weltkrieg von den Navaho entwickelt. Die Kultur der Indianer ist ein Nährboden für solche Dinge, und Sam war ein Experte für Codes.
Außerdem mußte ich mir immer wieder ins Gedächtnis rufen, daß ich die einzige Person auf diesem Planeten war, die wußte, daß Sam noch lebte. Aber um den Knoten zu lösen, in den ich mich verstrickt hatte, mußte ich Sam erst einmal finden.
Für den Rest der Woche blieb alles frustrierend ruhig. Es war nicht so, daß ich mir eine weitere Verfolgungsjagd oder eine Lawine wünschte, um mir die Langeweile zu vertreiben. Das Problem war, daß noch immer kein Paket eingetroffen war und daß ich keinen Kontakt zu Sam bekommen hatte.
Ich fuhr an der No-Name-Bar vorbei und erkundigte mich so nebenbei wie möglich nach Anrufen. Der Barkeeper sagte mir, er habe den Münzfernsprecher an der Wand gegenüber ein paarmal klingeln hören, aber das sei schon etliche Tage her. Es sei auch niemand an den Apparat gegangen, um abzuheben.
Jeden Tag ging ich meine E-mail durch, aber von Sam war nichts dabei.
Olivier und ich mußten für ein paar Tage unsere Fahrten zwischen Büro und zu Hause koordinieren, bis ich wieder selbst fahren konnte; und Wolfgang war noch nicht wieder in der Stadt. Deshalb war ich in gewisser Weise ganz froh, daß kein Paket kam, solange ich es nicht allein abholen konnte. Das Runenmanuskript versteckte ich inzwischen, wo es niemand finden konnte, und zwar direkt vor der Nase von zehntausend US-Regierungsangestellten – im DOD Standard.
Dieses Richtlinienwerk des Verteidigungsministeriums, kurz DOD, (Department of Defense),
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