New York - Love Story
hinzufügt:
»Schon wieder.«
»Was heißt das? Schon wieder?«, frage ich erstaunt.
»Das ist nicht das erste Mal, dass Gwyn und Gwen ihrer
Nanny weglaufen. Längst nicht das erste Mal«, erklärt David,
während er sein Buch in einer braunen Messenger-Tasche
verstaut, aufsteht und sich kurz die Jeans glatt streicht.
»Ich kann es ihnen nicht verübeln. Du bist bereits ihre
siebte Nanny.« David hängt sich die Tasche um und beginnt,
die Stufen hinabzusteigen. Als ich ihm nicht sofort folge,
dreht er sich um. »Komm!«
Verwundert gehe ich hinter David her. Ich hatte erwartet,
dass er mir eine Szene machen würde. Mir vorwirft, dass ich
mich nicht gut um seine Schwestern kümmere. Oder stundenlang
über meine Unfähigkeit herzieht. Aber nichts dergleichen.
Am Fuß der breiten Treppe wendet er sich nach
rechts und winkt mich neben sich.
»Sie sind garantiert im Central Park«, sagt er. »Dort verstecken
sie sich eigentlich immer.« Ich vermute, dass David
ruhig und besonnen klingen will, aber auch seiner Stimme
ist anzumerken, dass er sich Sorgen um die kleinen Mädchen
macht. Der Central Park ist groß! Und ich habe gar keine
Lust, mir auszumalen, was zwei Siebenjährigen dort alles
passieren könnte.
»Es gibt einige Orte, zu denen sie besonders gerne gehen«,
fährt David fort. Mit seinen langen Beinen macht er riesige
Schritte, sodass ich bei dem Versuch, in seinem Tempo mitzuhalten,
schon bald außer Atem gerate. Bei der ersten Gelegenheit
biegt David rechts in den Central Park ein, bleibt
stehen und winkt mit der Hand etwas unbestimmt in eine
Richtung.
»Geh du da entlang. Auf diesem Weg kommst du zuerst bei
Alice und dem Entenmann vorbei. Wenn sie dort nicht sind,
geh weiter bis zur Bethesda Fountain. Ich suche am Turtle
Pond nach ihnen.«
Ohne sich noch einmal umzudrehen, läuft David davon.
Ich wende mich in die Richtung, die er mir gezeigt hat. Zwar
habe ich keine Ahnung, was er mit Alice und dem Entenmann
meint, aber was soll ich machen? Obwohl ich bereits
außer Atem bin, falle ich in Trab. Der Schweiß läuft mir nach
kürzester Zeit den Rücken hinunter. Das Wetter kommt mir
noch drückender vor als sonst. Zwei Jogger überholen mich.
Ihre Turnschuhe klatschen gleichmäßig auf den Weg, sie unterhalten
sich und lachen. Ich hechele nach Luft. Wie machen
die das?
Junge Frauen mit Buggys, eine Großfamilie mit Picknickkorb,
ein Geschäftsmann mit Handy am Ohr, ein Junge mit
fünf großen Hunden an der Leine, Touristen mit schweren
Kameras um den Hals …
Mein Schritt wird schleppender, und schließlich gehe ich,
anstatt zu laufen. Trotzdem fällt mir das Atmen schwer. Endlich
bleibe ich keuchend stehen. Da ist sie: Alice. Jetzt kapiere
ich, was David gemeint hat. Alice in Wonderland! Eine Statue
aus Bronze. Überlebensgroß hockt die berühmte Märchenfigur
auf ihrem Pilz, das riesige Kaninchen und der Hutmacher
mit seinem Zylinder auf dem Kopf flankieren sie zu beiden
Seiten. Kinder klettern auf dem Pilz herum, ziehen sich
an Alices Armen hoch und hängen an den Hasenohren.
Meine Augen suchen die Statue ab. Gwyn? Gwen? Nein!
Hier sind sie nicht. Enttäuscht und erschöpft laufe ich weiter.
Nach kurzer Zeit erreiche ich einen See, auf dem kleine Segelboote
treiben: Modellschiffe, gesteuert aus der Ferne. Ich
folge dem Weg und entdecke eine weitere Statue: der Entenmann,
ganz klar. Ein bronzener Herr in altertümlicher Kleidung
sitzt auf einer Bank, ein aufgeschlagenes Buch in der
Hand, zu seinen Füßen eine Ente mit lang gestrecktem Hals.
Zwei kleine Mädchen hocken an seiner Seite, lächeln mich
an.
Mein Magen macht einen aufgeregten Satz. Da sind sie!
»Cheese«, ruft ein kamerabewaffneter Mann. Das Lächeln
wird noch ein bisschen breiter. Und ich schüttele den Kopf.
Das sind nicht die Zwillinge. Natürlich nicht! Diese beiden
Mädchen sind jünger und ihre Haare dunkler.
Ich stütze die Hände auf meine Knie und lasse den Kopf
baumeln. Ich brauche definitiv eine kurze Pause. Diese Hitze
bringt mich noch um!
Ich blicke zum Himmel auf der Suche nach ein oder zwei
gnädigen Wölkchen – und kriege einen Schreck. Da sind
Wolken. Dicke graue Wolken, die gerade dabei sind, sich
vor die Sonne zu schieben.
SHIT!
Das sieht nach Regen aus.
Nach viel Regen.
Fountain,
denke ich.
Ich muss zu irgendeiner Fountain. Irgendwas
mit B. Wie hieß dieser blöde Brunnen denn noch mal?
Der Kamerapapa mit seinen beiden Töchtern läuft lachend
an mir vorbei.
»Sorry«, halte ich ihn an. »Wissen Sie, ob
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