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Nexus

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Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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ich, weil ich im Grunde meines Herzens wußte, daß ich mich für keines von beiden je entscheiden würde. Es war ein Zeitvertreib. Ich hätte zwar die Zeit besser mit der Erörterung höherer Fragen verwenden sollen, ob zum Beispiel die Seele der Verderbnis ausgesetzt wäre oder nicht, aber für die Geistmaschine ist ein Problem so gut wie das andere. In dieser Verfassung konnte ich den Drang in mir erwecken, zehn oder fünfzehn Kilometer zu laufen, um einen Dollar zu pumpen, und ebenso zu triumphieren, wenn es mir nur gelang, ein Zehn- oder auch ein Fünfeentstück zu ergattern. Was ich mit einem Dollar womöglich hätte anfangen können, war unwichtig; was zählte, war, daß ich eine solche Anstrengung überhaupt noch machen konnte. Das bedeutet, daß ich trotz meiner völlig entarteten Sicht der Dinge noch immer mit einem Fuß in der Welt stand.
    Ja, es war wirklich wichtig, mich gelegentlich an solche Dinge zu erinnern und es nicht weiterhin zu treiben wie The Akond of Swat. Es war auch gut, die beiden ab und zu aufzurütteln, wenn sie mit leeren Händen um drei Uhr morgens nach Hause kamen. Ich sagte dann zum Beispiel: «Macht euch keine Gedanken darüber, ich werde mir ein belegtes Brot kaufen.» Manchmal aß ich natürlich nur in der Einbildung. Aber es tat mir gut, ihnen vorzumachen, daß ich nicht ganz ohne Geld war. Einige Male überzeugte ich sie sogar, daß ich ein Steak gegessen hätte. Ich tat das natürlich, um sie zu ärgern. (Wie käme ich dazu, ein Steak zu essen, wenn sie stundenlang in einem Cafe gesessen hatten, in der Hoffnung, jemand würde ihnen einen Bissen anbieten?)
    Gewöhnlich begrüßte ich sie so: «Na, ist es euch gelungen, etwas zu essen zu bekommen?»
    Die Frage schien sie immer aus der Fassung zu bringen.
    «Ich habe mir gedacht, ihr leidet Hunger.»
    Darauf sagten sie mir, sie könnten sich was Besseres denken als Hunger leiden. Ich hätte auch keinen Grund zu hungern, so fügten sie gleich hinzu. Ich täte es nur, um sie zu quälen.
    Wenn sie guter Laune waren, verweilten sie länger bei dem Thema. Was für eine neue Teufelei hätte ich wohl vor? Ob ich in der letzten Zeit Kronski gesehen habe? Dann vernebelten sie ihre Stellungen mit allerlei Geschwätz, erzählten von ihren neuen Freunden, den Spelunken, die sie entdeckt hatten, den Abstechern nach Harlem, dem Atelier, das Stasia mieten wollte, und so weiter und so fort. Ach ja, sie hatten vergessen, mir von Stasias Dichterfreund Barley zu erzählen, den sie neulich zufällig getroffen hätten. Er würde uns mal eines Nachmittags besuchen. Er möchte mich gern kennenlernen.
    Eines Abends schwelgte Stasia in Erinnerungen. Soweit ich feststellen konnte, waren es keine erdachten. Sie erzählte von den Bäumen, an denen sie sich im Mondschein gerieben habe, von dem perversen Millionär, der sich wegen ihrer haarigen Beine in sie verliebte, von der Russin, die versuchte, mit ihr anzubändeln, die sie aber zurückstieß, weil sie zu grob war. Übrigens hatte sie damals ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau, und um dem Mann Sand in die Augen zu streuen, trieb sie es auch mit ihm ... nicht, weil ihr das Spaß machte, sondern weil die Frau, die sie liebte, es für das richtige hielt.
    «Ich weiß nicht, warum ich dir das alles erzähle», sagte sie. «Wenn ich nicht...»
    Plötzlich fiel ihr ein, warum. Es war wegen Barley. Barley sei ein sonderbarer Heiliger. Sie könne nicht begreifen, welche Anziehungskraft zwischen ihnen bestände. Er täte immer so, als wolle er sie umlegen, aber nie geschähe etwas. Er sei jedoch ein sehr guter Dichter, dessen sei sie sicher. Dann und wann schreibe sie selbst ein Gedicht, in seiner Gegenwart. Sie lieferte einen merkwürdigen Kommentar dazu: «Ich könnte ruhig weiterschreiben, während er mich aufregte.»
    Gekicher.
    «Was hältst du davon?»
    «Klingt wie eine Seite aus Krafft-Ebing», sagte ich.
    Es entspann sich eine lange Diskussion über die Vorzüge und Mängel von Krafft-Ebing, Freud, Forel, Stekel, Weininger et alia, die mit Stasias Bemerkung abschloß, sie seien alle alte Hüte.
    «Weißt du, was ich für dich tun werde?» rief sie. «Ich werde mich von deinem Freund Kronski examinieren lassen.»
    «Wie meinst du das - examinieren?»
    «Er soll meine Anatomie erforschen.»
    «Ich dachte, du meintest deinen Kopf.»
    «Das kann er auch tun», sagte sie eiskühl.
    «Und wenn er nichts findet, bist du einfach polymorph pervers, nicht wahr?»
    Der Ausdruck, ich hatte ihn bei Freud

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