Nicholas Flamel Bd. 5 Der schwarze Hexenmeister
Nereiden«, sagte er.
»Doktor …!«, rief Josh. »Festhalten!« Eine Nereide war direkt vor ihm auf die Bugabdeckung gesprungen und schob sich nun auf ihn zu. Ihre fünf Zentimeter langen rasiermesserscharfen Fingernägel gruben sich in die Bootshaut aus Fiberglas. Josh riss das Steuer herum und das Boot neigte sich in einem Winkel von fast fünfundvierzig Grad zur Seite. Die Kreatur schrie auf und schlitterte über den Bug, wobei ihre Fingernägel lange gezackte Furchen in der Bootshaut hinterließen. Einen Moment konnte sie sich noch festhalten, dann fiel sie ins Wasser zurück.
»Schneller!«, brüllte Dee.
»Geht nicht«, antwortete Josh. Das Boot schaukelte auf und ab und krachte mit solcher Wucht in die Wellen, dass es ihn immer wieder aus seinem Sitz hob. Seine Kiefer schmerzten und der Kopf dröhnte, Salzwasser brannte in seinen Augen und bildete eine Kruste auf seinen Lippen. Auch wenn er gewöhnlich nicht seekrank wurde, wusste er, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis auch er sich übergeben musste.
Plötzlich ging ein Ruck durchs Boot. Es wurde langsamer, als sei es auf eine Sandbank aufgelaufen. Der Motor kreischte und heulte, doch das Boot kam kaum noch vom Fleck. Josh riskierte einen Blick über die Schulter. Dutzende von Nereiden hatten sich ans Heck gehängt, klammerten sich daran fest und zogen es unter Wasser. Wellen schlugen über die Seitenwände und auf dem Boden bildeten sich bereits Pfützen. Und ein Blick in die hungrigen Augen der Nereiden und in die Münder mit den nadelspitzen Zähnen sagte Josh, dass weder er noch Dee länger als eine Minute im Wasser überleben konnten.
Der Doktor stand hinter Josh und schlug mit dem Tauende um sich, doch die Nereiden waren zu wendig für ihn und nicht ein einziger Schlag traf. Er zielte nach einer, als sie aus dem Wasser sprang. Sie balancierte auf ihrem Schwanz und biss das Tau glatt durch, als es an ihrem Gesicht vorbeizischte.
»Setz deine Aura ein oder wir sind tot!«, rief Josh.
»Wenn ich meine Aura einsetze, sind wir garantiert tot!«
»Wenn du sie nicht einsetzt, dauert es keine drei Minuten und wir sind Fischfutter.« Josh biss die Zähne zusammen. »Wir brauchen …«
»Eine Strategie. « Dee legte eine besondere Betonung auf das Wort.
Josh nickte. »Eine Strategie«, begann er. Noch während er sprach, kam ihm ein flackerndes Bild vor Augen, fast eine Erinnerung, aber nicht seine eigene …
… an eine Armee in der glänzenden Rüstung der Japaner. Sie sitzt in der Falle, der Feind ist in der Überzahl und rückt von allen Seiten näher …
… an einen Krieger in Leder und einem Kettenhemd, den Kopf von einem metallenen Helm geschützt, allein auf einer Brücke im Kampf gegen eine Armee, die nie menschlichen Ursprungs war …
… an drei leicht bewaffnete Segelschiffe, eingekreist von einer riesigen Flotte …
Und in jedem Fall hatten die Unterlegenen triumphiert, weil … weil sie eine Strategie hatten.
»Die Ersatzkanister«, brüllte Josh. »Sind sie voll?«
Dee schlug mit seiner Seilpeitsche nach einer Nereide, die Greifer anstelle von Händen hatte. Sie ließ sie zuschnappen und wieder fiel ein Stück Seil ins Wasser, bevor sie selbst untertauchte. Der Magier griff nach einem der Plastikkanister und schüttelte ihn. Flüssigkeit schwappte darin hin und her. »Halb voll. Vielleicht mehr.« Er schüttelte einen zweiten Kanister. »Der hier ist ganz voll.«
»Halt dich fest«, rief Josh, »wir wenden.« Er riss das Ruder nach Steuerbord. Das Boot drehte von der Insel ab, die rasch näher gekommen war, und beschrieb einen weiten Kreis im Wasser. Die irritierten Nereiden blieben kurz zurück. »Kipp das Zeug ins Wasser«, befahl Josh. »Aber nicht alles auf einmal. Ganz langsam.«
Wortlos schraubte der Doktor den Deckel des ersten Kanisters ab und warf ihn über Bord. Der Dieselgestank war grässlich. Dee hustete und seine Augen tränten. Dann legte er den Kanister auf die Seitenwand des Bootes und ließ den Diesel langsam auslaufen und sich auf der Wasseroberfläche verteilen.
Josh merkte plötzlich, dass er alles in Zeitlupe wahrnahm. Er sah die Nereiden hin und her schwimmen und wusste, wie sie sich formieren würden. Er beobachtete eine Welle, die gegen den Bug schlug, und konnte die einzelnen Wassertropfen zählen, als sie an seinem Gesicht vorbeispritzten.
Eine ausgesprochen hässliche Nereide – mehr Fisch als Mensch – bäumte sich vor ihm auf. Er sah, wie sie ihre Bauchmuskeln anspannte, und wusste,
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