Nicholas Flamel Bd. 5 Der schwarze Hexenmeister
Bürgersteig und erwartete sie.
Eine gewaltige Faust schoss vor und packte Larry vorn an seinem schmuddeligen T-Shirt. Der Mann hob ihn hoch und schleuderte ihn durch die Luft. Er landete gute sechs Meter weiter auf der Kühlerhaube eines geparkten Wagens. Spinnwebähnliche Risse breiteten sich auf der Windschutzscheibe aus und die Alarmanlage begann zu tuten. Keiner der Fußgänger auf dem Broadway warf auch nur einen Blick in die Seitengasse.
Mo griff unter seinem T-Shirt nach dem Bleirohr. Da schloss sich eine riesige Hand um seinen Kopf. Und drückte zu. Solch rasende Schmerzen hatte Mo noch nie gehabt. Ihm wurde schwarz vor Augen und seine Beine knickten unter ihm ein. Er wäre hingefallen, hätte der Mann seinen Kopf nicht weiter festgehalten. Mo sah, wie der alte Mann – der plötzlich gar nicht mehr so alt aussah – das Bleirohr aufhob, es betrachtete, daran roch, mit einer kohlschwarzen Zunge darüber fuhr und es dann wie eine Blechdose zerdrückte und wegwarf. Der Mann sagte etwas, doch Mo verstand ihn nicht. Der Fremde versuchte es in verschiedenen Sprachen, bis … »Verstehst du mich jetzt?«
Mo brachte ein ersticktes Quieken heraus.
»Du kannst von Glück sagen, dass ich heute gute Laune habe«, sagte der Mann. »Ich brauche eine Wegbeschreibung.«
»Wegbeschreibung?«, krächzte Mo.
»Wegbeschreibung.« Der Mann ließ ihn los, Mo wankte rückwärts und fiel gegen eine Hauswand. Er fasste sich mit beiden Händen an den Kopf. An seinen Schläfen waren garantiert die Abdrücke riesiger Finger zu sehen.
»Wegbeschreibung«, wiederholte der Mann. »Ich habe die Adresse irgendwo aufgeschrieben.« Er fuhr mit der Hand in die Tasche seiner Lederjacke. Und in dem Moment griff Mo an. Er versuchte es mit einem Karateschlag gegen die Kehle des Fremden. Schnell wie der Blitz packte der Mann Mos Arm, drückte zu und ließ dann seinen Handballen in Mos Brustkorb donnern. Der Schlag warf Mo zurück gegen die Wand. Sein Kopf krachte gegen die Backsteine. »Wie kann man nur so dumm sein«, knurrte der Mann. Er brachte einen Zettel zum Vorschein und hielt ihn dem Jungen hin. »Weißt du, wo das ist?«
Mo brauchte ein paar Sekunden, bis er wieder klar sehen konnte. Langsam wurden aus dem verschwommenen Gekrakel kindliche Druckbuchstaben auf liniertem Papier. »Ja«, flüsterte er voller Angst. »Ja.«
»Dann sag es mir.«
»Zu Fuß oder mit dem Wagen?«
»Sehe ich so aus, als würde ich fahren?«, knurrte der Mann. »Hast du hier irgendwo eine Kutsche gesehen?«
Mo schluckte hart. Der ganze Brustkorb tat ihm weh, er hatte Probleme mit dem Atmen und sein Schädel brummte. Hatte der Mann gerade »Kutsche« gesagt?
»Wegbeschreibung.«
»Sie gehen die Straße hier vorn hinunter, den Broadway, bis Sie zur Scott Street kommen – die geht links ab. Die Adresse hier ist dann dort irgendwo.«
»Ist es weit?«
»Nah ist es nicht.« Mo versuchte ein Lächeln. »Sie lassen mich doch laufen, Mister, nicht wahr? Ich habe Ihnen nichts getan.«
Der große Mann faltete den Zettel mit der Adresse zusammen und steckte ihn in die hintere Tasche seiner weiten Jeans. »Mir nicht. Aber andere habt ihr ausgeraubt, du und dein Kumpel. Ihr habt die ganze Nachbarschaft terrorisiert.«
Mo öffnete den Mund für eine Lüge, doch der Mann nahm seine Ray-Bans-Brille ab und steckte sie in eine Innentasche seiner Jacke. Mit ungewöhnlich blauen Augen blickte er den Jungen an. »Du sagst deinen Freunden – oder den anderen von deinem Schlag, denn ich bin sicher, dass ihr keine Freunde habt –, dass ich wieder da bin und dass ich solche Überfälle nicht toleriere.«
»Wieder da? Wer sind Sie? Sie sind ja verrückt …«
»Nicht mehr.« Der Mann lächelte, und Mo sah seine überlangen Schneidezähne, die wie Vampirzähne gebogen waren. Dazwischen kam eine schwarze, gespaltene Zunge hervor. »Sag deinen Freunden, Mars Ultor ist wieder da.« Dann hob er Mo an seinem T-Shirt hoch und warf ihn die Gasse hinunter. Als er auf seinem Freund landete, verstummte die Alarmanlage des Wagens mit einem Quietschen.
Und Mars Ultor schlurfte auf den Broadway zurück und machte sich auf die Suche nach der Scott Street und Tsagaglalal.
KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG
S ophie wusste instinktiv, dass das, worum Perenelle sie bat, falsch war, auch wenn sie nicht ganz und gar sicher war, weshalb. Schemenhaft flackerten vage Gedanken und Erinnerungen auf und tanzten durch ihr Bewusstsein, doch wenn die grünen Augen der Zauberin sie so intensiv anblickten,
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