Nicholas' Geheimnis (German Edition)
müssen.«
Dorian lachte leise, legte einen Arm um Melanies Schultern und führte sie in den Salon. »Ihr Amerikanerinnen! Müsst ihr unbedingt stark und unabhängig sein?«
»Jedenfalls war ich’s bis jetzt.« Melanie musste daran denken, dass sie noch vor kurzem in Nicks Armen geweint und um Hilfe gefleht hatte. Sie richtete sich kerzengerade auf. »Und mir bleibt auch nichts anderes übrig.«
»Bewundernswert. Der Anblick einer Leiche ist schließlich kein Vergnügen.« Dorian sah, wie Melanie sich verfärbte, und riss sich zusammen. »Verzeih, Melanie, ich hätte das nicht sagen dürfen. Darf ich dir einen Drink bringen?«
»Um Gottes willen! Ich habe bereits zu viel Brandy getrunken, es reicht für heute.« Mit einem schwachen Lächeln machte sie sich von Dorian los.
Warum boten ihr alle Leute Schutz und Trost an, nur nicht der Mann, der ihr etwas bedeutete? Unsinn, er bedeutet mir nichts, redete sie sich ein. Ich brauche weder Schutz noch Trost. Von keinem Mann.
»Du bist nervös, Melanie. Möchtest du allein sein?«
»Nein.« Melanie schüttelte den Kopf. Dorian wirkte wie stets ruhig und ausgeglichen. Sie kannte ihn nicht anders. Sie wünschte, sie wäre heute Morgen Dorian und nicht Nick in die Arme gelaufen. Sie ging zum Flügel hinüber und strich mit einem Finger über die Tasten. »Ich bin froh, dass Tripolos fort ist. Er geht mir auf die Nerven.«
»Tripolos?« Dorian zog sein Zigarettenetui hervor. »Um den brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Vermutlich muss sich nicht einmal der Mörder seinetwegen Sorgen machen«, fügte er mit einem kurzen Lachen hinzu. »Für spektakuläre Erfolge ist die Polizei von Mytilini nicht eben berühmt.«
»Das hört sich an, als sei es dir egal, ob der Mörder gefasst wird oder nicht.«
»Dörfliche Streitereien berühren mich nicht«, erwiderte Dorian. »Mich interessieren nur Leute, die ich kenne. Ich wollte damit nur sagen, du brauchst dir wegen Tripolos keine Gedanken zu machen.«
»Ich fürchte mich nicht«, widersprach Melanie und beobachtete, wie Dorian sich die Zigarette anzündete. Irgendetwas ging ihr im Kopf herum, aber sie kam nicht darauf. »Es ist nur die Art, wie gelassen er dasitzt und einen beobachtet, wachsam, lauernd …«
Melanie blickte dem aufsteigenden Rauch aus Dorians langer schwarzer Zigarette nach. Da war doch etwas … Sie schüttelte eine unbestimmte, aber irgendwie wichtige Erinnerung ab. »Wo sind die anderen?«
»Liz und Alex sind im Arbeitszimmer. Iona ist mit dem Boot draußen.«
»Ach ja, mit Nick.« Unbewusst verkrampfte Melanie die Hände ineinander. »Du bist nicht glücklich darüber, oder, Dorian?«
»Iona musste einmal hinaus. Die Atmosphäre des Todes zerrt an ihren Nerven.«
»Du bist sehr verständnisvoll.« Plötzlich bekam Melanie Kopfschmerzen. Sie trat ans Fenster. »Ich glaube, das brächte ich nicht fertig.«
»Ich habe Geduld, und ich weiß, dass Nick ihr nicht das Geringste bedeutet. Er ist für sie nur Mittel zum Zweck.« Dorian machte eine kleine nachdenkliche Pause. »Manche Leute sind keiner Gemütsregung fähig, sei es nun Liebe oder Hass.«
»Wie leer muss ihr Leben sein«, sagte Melanie leise.
»Findest du? Ich stelle mir das eigentlich ganz bequem vor.«
»Ja, bequem vielleicht, aber …« Sie sprach nicht weiter. Dorian hob gerade seine Zigarette an die Lippen. Beim Anblick der schwarzen Zigarette erinnerte sich Melanie plötzlich … Die Muschel im Sand, die halb gerauchte Zigarette daneben, wenige Schritte von dem Toten entfernt … Dieselbe teure Marke! Sie starrte Dorian an. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken.
»Ist was, Melanie?« Dorians Stimme riss Melanie aus ihrem Betäubungszustand.
Sie schüttelte benommen den Kopf. »Nein, nein. Ich bin noch nicht wieder ganz ich selbst. Vielleicht sollte ich doch etwas trinken.«
Melanie hatte kein Bedürfnis nach einem Drink, brauchte aber Zeit, um ihre Gedanken zu ordnen. Ein Zigarettenstummel ist noch kein Beweis, dachte sie, während Dorian zur Bar ging. Alle Bewohner der Villa hätten sich auf der Sandbank zwischen den Klippen aufhalten können.
Aber der Zigarettenrest war frisch gewesen, überlegte sie weiter. Er steckte halb im Sand und war sauber und trocken. Wenn aber jemand gerade erst dort gewesen war, hätte er die Leiche entdecken und unverzüglich die Polizei verständigen müssen. Es sei denn …
Was für ein abwegiger Gedanke! Dass Dorian etwas mit der Ermordung eines Dorfbewohners zu tun haben sollte, war
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