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Nicht mehr tun, was andere wollen

Nicht mehr tun, was andere wollen

Titel: Nicht mehr tun, was andere wollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henrik Fexeus
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einem Etikett versehen haben und wissen, worum es sich handelt. (Dass unser Unterbewusstsein sich nicht bremsen lässt und wir die alte Frau trotzdem entdecken, steht auf einem anderen Blatt.)

    Wenn ich Sie beeinflussen will, muss ich dafür sorgen, dass Sie die Welt so wahrnehmen, wie ich es möchte, und nicht anders. Wenn es nicht zu meinen Zielen passt, dass Sie alte Frauen sehen, muss ich eben Maßnahmen ergreifen, damit Ihre Welt voll junger Damen ist. Oder voller Ansichten, die mir in den Kram passen. Und das bewirke ich gern mit Worten.
    Manchmal hab ich so ein Glück, dass ich im Voraus bestimmen kann, wie Sie die Welt deuten sollen. Z. B. kann ich Ihnen, schon bevor Sie das Bild sehen, ankündigen, dass Sie eine junge Dame sehen werden. Doch ich kann nicht immer voraussehen, wie Sie die Dinge wahrnehmen. Manchmal würde ich mir vielleicht wünschen, dass Sie die Dinge anders sehen, als Sie es tun. Aber das ist auch kein Problem. Denn ich kann ja auch im Nachhinein noch Ihre Auffassung der Erlebnisse verändern. Und das tue ich, indem ich die Beschreibung Ihrer Erlebnisse verändere.
    Wir glauben gern, dass unsere Erinnerung so unumstößlich und unveränderlich ist wie ein Fotoalbum. Doch so einfach ist es weiß Gott nicht. Jedes Mal, wenn Sie sich an etwas erinnern, erfolgt eine Rekonstruktion in Ihrem Bewusstsein. Ihre Erinnerungen setzen sich aus den verschiedenen mentalen Puzzleteilchen zusammen, die Ihnen in diesem Moment zur Verfügung stehen. Ihre Erinnerung kann also von Mal zu Mal variieren, weil sich eben diese Puzzleteilchen verändern. Manche verschwinden, andere kommen hinzu. Diese Rekonstruktion kann ich außerdem mit Worten und subtilen Vorschlägen manipulieren.
    In einem berühmten Experiment führte man den Teilnehmern einen Film über eine Massenkarambolage vor. Direkt im Anschluss an den Film mussten sie eine Frage beantworten. Die einen wurden gefragt: » Wie schnell fuhren die Autos, als sie ineinanderkrachten?«, die anderen: » Wie schnell fuhren die Autos, als sie zusammenstießen?« Diejenigen, die die Frage mit der Formulierung » ineinanderkrachen« bekommen hatten, gaben im Schnitt eine höhere Geschwindigkeit an als die, bei denen man die Autos nur » zusammenstoßen« ließ. Eine Woche später legte man allen Zuschauern die Frage vor: » Haben Sie im Film zerbrochenes Glas gesehen?« Von der ersten Gruppe bejahten doppelt so viele wie von der zweiten. Tatsächlich war in dem Film gar kein Glas zu Bruch gegangen. Doch ihre unterschiedlichen Erinnerungen und Assoziationen zu den Worten » ineinanderkrachen« und » zusammenstoßen« hatten offenbar verschiedene mögliche Abläufe aktiviert, was die Rekonstruktionen der Teilnehmer beeinflusste. Das heißt– woran sie sich erinnerten. Oder vielmehr, woran sie sich zu erinnern glaubten.
    Denken Sie mal nach, wie Sie zum letzten Mal einen Menschen kennengelernt haben, von dem Sie einen recht guten Eindruck hatten. Jemand, der Ihnen irgendwo behilflich war, der Sie im Restaurant bedient hat, der Ihnen aus dem Pool geholfen hat. Wenn ich Sie bitten würde, diese Person in einer Gruppe mit zehn anderen Personen zu identifizieren, würden Sie das wahrscheinlich ganz leicht schaffen. Doch stellen Sie sich jetzt vor, dass Sie zuerst schriftlich festhalten müssten, wie die Person aussah: Größe, Haarfarbe, Kleidung usw. So eine Liste sollte doch eigentlich eine große Hilfe sein, wenn Sie die Person später aus der Gruppe herausfinden müssten, oder? Doch es verhält sich genau umgekehrt: Indem Sie die Person mit Worten beschrieben haben, haben Sie nämlich Ihre Fähigkeit, sie zu identifizieren, verschlechtert. Denn Sie haben Ihre unmittelbare und blitzschnelle visuelle Erinnerung gegen eine verbale Beschreibung eingetauscht, was viel heikler ist– und nicht halb so detailliert. Was nicht in Ihre Beschreibung Eingang gefunden hat, verschwindet von der Liste der Eigenschaften, die Sie bei den Personen suchen werden. Das Risiko ist groß, dass es einfach nicht mehr in Ihrer Erinnerung auftaucht. Wenn es in Ihrer Beschreibung nicht vorkommt, hört es auf zu existieren.
    Dass die menschliche Erinnerung nichts Unumstößliches ist, sondern unaufhörlich aufs Neue konstruiert wird und daher in hohem Maße durch Worte formbar ist, ist auch das beste Hilfsmittel für Bühnenzauberer. Ich war 20Jahre lang schrecklich fasziniert von dieser fortgeschrittenen Form von Onanie, welche sich » Kartentricks« nennt. Ich wage kaum daran zu denken, wie

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