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Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Titel: Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meral Al-Mer
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rauscht. Als ich sicher bin, dass mein Vater nicht zurückgekommen ist, atme ich auf. Ich fühle mich so entsetzlich verschwitzt und möchte gerne duschen. Doch im Badezimmer ist überall noch Leylas Blut …
    Ich reiße mich zusammen, mache uns ein Frühstück und wecke meinen Bruder. Doch Mourad schläft am Tisch wieder ein, und ich habe keinen Appetit. Eine Weile warte ich noch, dann treffe ich eine Entscheidung. Elke hat sich gegen uns entschieden. Also müssen wir selbst sehen, wie es mit uns weitergehen soll. Hier jedenfalls können wir nicht bleiben.
    Eine halbe Stunde später habe ich für meinen Bruder und mich je eine Reisetasche gepackt. Ich vergesse auch den Gameboy und den Kuschelelefanten für meinen Bruder nicht. Dann greife ich zum Telefon und wähle Rheas Nummer.
    »Unsere Familie ist heute Nacht in die Luft geflogen«, sage ich. »Können wir zu dir kommen, mein Bruder und ich?«
    Sie stellt keine Fragen, sagt einfach: »Ja.« Also rüttle ich Mourad wach und nehme ihn an der Hand. Als wir das Haus verlassen, zeigt die Küchenuhr zehn Uhr vierzehn.

16
Tanz auf den Scherben
    D enke ich an die Wochen nach dem großen Knall, dann erscheinen mir die Ereignisse wie ein grellbuntes Kaleidoskop, das sich immerzu dreht – und genauso fühlte ich mich damals. Während Mourad entweder schlief oder mit seinem Gameboy spielte, versuchte ich verzweifelt, das Ruder wieder richtig in den Griff zu bekommen. Doch der Schock saß tief.
    Elke rief von ihren Eltern aus an und hatte erschreckende Neuigkeiten. Mein Vater war nur über Nacht in der psychiatrischen Notaufnahme festgehalten worden, schon am Morgen ließen sie ihn wieder gehen. Mourad und ich hatten wohl keine Minute zu früh das Haus verlassen.
    Als mein Vater zu Hause niemanden antraf, war er sofort zu Ma und Pa gefahren. Dort machte er ein Riesentheater, verlangte seine Frau und seine Tochter.
    »Meli und ich gehen ins Frauenhaus«, sagte Elke. »Ich weiß mir einfach keinen anderen Rat.«
    Rhea und ich schauten aus dem Fenster. Dort parkte ein Wagen, und als ich genauer hinsah, erkannte ich zwei meiner Onkel darin.
    »Sie werden nicht wagen, hier Terror zu machen«, beruhigte mich Rhea. »Sie wissen genau, dass wir sofort die Polizei rufen würden.«
    Rhea hatte recht. Meine Onkel klingelten nicht an der Tür. Aber sie fanden die Telefonnummer meiner Freundin heraus und riefen an.
    »Dein Vater ist völlig fertig«, erzählte mir einer meiner Onkel. »Er liegt nur noch auf dem Sofa herum, wäscht sich nicht, isst nichts, und die Camel-Schachteln stapeln sich neben seiner Couch. Du musst dich um deinen Vater kümmern, Meral.«
    Irgendwann rappelte er sich offenbar aus seiner Depression wieder auf. Ich konnte ihn direkt vor mir sehen, wie er brütete und brütete und schließlich den Plan fasste, dass er wenigstens mich zurückhaben wollte, wenn ihn alle anderen auch verlassen hatten.
    Ich weiß nicht, war es Neugier, war es immer noch Tochterliebe, war es das schlechte Gewissen, das er mir mein ganzes Leben lang eingebläut hatte – jedenfalls rief ich eines Tages von einer Telefonzelle aus bei ihm an.
    »Hallo«, sagte ich vorsichtig. »Wie geht es dir?«
    Und nun legte er wieder die Platte auf, die ich, genau wie seine Zornausbrüche, nur zu gut kannte. In weinerlichem Ton begann er mir sein Leid zu klagen.
    »Meral«, wimmerte er, »mir geht es so schlecht. Wer wäscht jetzt meine Wäsche? Wer kocht für mich? Meral, du musst dich um deinen Vater kümmern!«
    Und so jammerte er weiter. Ich hielt den Hörer weit weg von meinem Ohr und staunte über das neue, interessante Gefühl, das sich in mir ausbreitete: Mein Vater, so hilflos, und ich weit genug weg von ihm, dass er mir nichts tun konnte. Im Grunde war es ein Nicht-Gefühl: In diesem Moment empfand ich weder Mitleid noch Liebe, auch keine Genugtuung. Ich empfand einfach nichts.
    Irgendwann unterbrach ich sein Klagelied. »Jetzt stell dich nicht so an«, sagte ich barsch. »Du wirst doch wohl die Waschmaschine anstellen können! Und wenn du Hunger hast, dann machst du dir eben das, was dir schmeckt. Du hast Elkes Essen sowieso dauernd an die Wand gedonnert, weil du es nicht mochtest.«
    Doch seine weinerliche Litanei fand kein Ende.
    »Komm zurück zu mir«, wimmerte er.
    »Nein«, sagte ich und kam mir sehr brutal vor. »Ich komme nicht zurück.«
    »Warum denn nicht?«, wollte er wissen.
    »Weil mich die anderen dann für verrückt erklären«, sagte ich.
    »Aber es ist doch egal, was die

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