Nichts als Erlösung
Spurenträger quasi aller Kollegen, die irgendwann in den letzten 20 Jahren mal berechtigterweise in dem Vollenweider-Wohnhaus gewesen sind. Schneider hatte sogar das Klo benutzt, Dannenberg in der Küche ein Glas Wasser getrunken. Das ist natürlich alles sehr schön und füllt etliche Seiten in den Akten, hilft ihnen aber kein bisschen weiter.
Wenn man sucht, findet man nicht immer das, was man erwartet. Ekaterina Petrowas Worte fallen ihm ein, ihre irre Geschichte von dem Mondgestein in dem russischen Bohrloch und der heulenden Erde, und im nächsten Moment denkt er einmal mehr an die Kindergebeine unter dem Radieschenbeet, deren exaktes Alter die sonst so findige Rechtsmedizinerin offenbar tatsächlich nicht bestimmen kann. Doch es spricht einiges dafür, dass die toten Kinder ein Relikt der Nazis sind. Inzwischen hat er Belege dafür, dass das Haus Frohsinn 1941 ein paar Monate lang als eine Art Sammellager für Kinder aus der Eifel gedient hatte, die die Nazis vernichten wollten. Einige dieser Kinder könnten bereits vor dem Transport in die Todeslager in dem Kinderheim gestorben und dann einfach bei Nacht und Nebel hinter dem Haus verscharrt und vergessen worden sein, hat Elke Schwab gemutmaßt. Manni versucht sich ein Deutschland vorzustellen, in dem Kinder einfach umgebracht werden können, ohne dass das jemanden kümmert. Er schafft es nicht, will es gar nicht schaffen.
If you love me, I’ll make you a star in my universe. Vollkommen unvermittelt ist der nächste Song auf der CD der Krieger genau sein Sonja-Lied, und sofort muss er an das Kind denken und an die Wohnung, die sie plötzlich auch auf dem Zettel haben, so rasant, als hätte jemand mitten in einem Film den Schnellvorlauf betätigt. Drei Zimmer im Parterre mit großem Hinterhof in einer Südstadt-Hausgemeinschaft. Und im Vorderhaus wird im Januar eine Praxis frei, war es aus Sonja hervorgesprudelt, als sie ihn durch die Wohnung zerrte. Da könnten Helen und ich mit unserem Massagestudio hinziehen, das wäre ideal, dann hätte ich ganz kurze Wege zur Arbeit, und das reduziert die Kosten für den Babysitter, und zur Uni ist es von dort auch nicht weiter als von meiner alten Wohnung. Manni fasst das Lenkrad fester. Drei Tage Bedenkzeit haben sie, so lange ist diese Wohnung für sie reserviert. Er versucht es sich vorzustellen: abends heimkommen zu Frau und Kind, Abendbrot, Abwasch und Gutenachtgeschichte, und wenn er zu spät kommt, Genörgel und Tränen. Denn so wird es sein, so endet es immer. Jeder Polizist kann ein Lied davon singen. Er wirft der Krieger einen Seitenblick zu.
»Willst du eigentlich Kinder?«
»Wie kommst du denn jetzt da drauf?«
»Heißt das ja?«
»Fragst du wegen Karl?« Sie klappt die Berichte zu, in denen sie geblättert hat, und lächelt ein schiefes Katzenlächeln. »Nein, will ich nicht. Und du?«
»Keine Ahnung«, sagt er und fühlt sich wie ein mieser Verräter. Vielleicht wird das Kind ja ein Mädchen, das Sonja ähnelt. Vielleicht wird es dann ganz leicht, dieses Kind zu lieben, weil es ihn nicht ständig an seinen Vater und sich erinnern wird.
Die CD springt zum nächsten Song, statt der elfenhaften Mädchenstimme knödelt jetzt ein Kerl mit leicht kratzigem Schlafzimmercharme etwas von einem Flugzeug, in dem er sein Mädchen mitnehmen will, hoch, ganz hoch hinaus, gonna take her for a ride on a big jet plane, hey hey, und das ist entsetzlich banal und trotzdem ein Ohrwurm, perfekt für einen schnellen Ritt auf der Autobahn.
Bei Limburg kaufen sie sich einen Kaffee, den sie im Weiterfahren trinken, kurz vor dem Frankfurter Flughafen verlässt er die A3 und heizt noch einige Kilometer über die A67 durch eine unglaublich platte und nichtssagende Landschaft, bis sie die Autobahnausfahrt Darmstadt erreichen. Eine mehrspurige Straße führt danach schnurgerade auf irgendeinen Säulenheiligen im Stadtzentrum zu, aber sie biegen rechts ab und fahren aus der City heraus zum Stadtteil Eberstadt, was wohl so eine Art Vorort in besserer Lage ist, umgeben von Wald, mit gepflegten Straßen und protzgrünen Gärten. Kurt Böhm wohnt beinahe am Ortsausgang in einem sauber hellgelb verputzten frei stehenden Haus, mit modern bis zum Boden heruntergezogenen Fenstern. Manni schaltet den Motor aus. Neben ihm gibt die Krieger einen Seufzer von sich, der wohl andeuten soll, dass sie dankbar ist, eine weitere Fahrt mit ihm am Steuer überlebt zu haben.
»Wahrscheinlich ist Böhm sowieso bei der Arbeit.« Sie angelt nach ihren
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