Nichts für Anfänger - Roman
ersten Mal in dieser Nacht kneife ich die Augen zusammen und stelle mir vor, dass er neben meinem Bett auf die Knie sinkt und mir »The Power of Love« ins Ohr säuselt. Ich beschütze dich vor dem Mann mit der Maske, sagt er, halb singend, halb sprechend, eine Mischung aus Holly Johnson von Frankie Goes to Hollywood und Vater Jasons gütigem, über dem Altar schwebendem Nicht-Gott. Er trifft jeden Ton und singt total gefühlvoll, genau wie im Video, und er singt einfach immer weiter, die Hände ans Herz gepresst, bis zu dem letzten inbrünstigen Teil, in dem er singt, dass er immer da sein wird, komme, was wolle, dass ihn nichts Geringeres antreibt, als seine immerwährende, unsterbliche Liebe.
Ehe ich michs versehe, ist es Morgen. Und es wird wieder Zeit für’s Kloster.
5
Tage religiöser Orientierung, Teil zwei
N ach dem ganzen Palaver an Tag eins sind die Erwartungen an den zweiten Teil des Ausflugs ziemlich hoch. Wir fangen mit ein paar Dankesgebeten in dem mit Kerzen erleuchteten heiligen Raum an, bevor Vater Jason uns in ein kleineres Vorzimmer nebenan führt und uns eine besondere Überraschung verspricht. Hier, in diesem Raum mit grasgrünem Teppich, der nicht viel größer ist als ein winziges Schlafzimmer, in den nur ein einziger Lichtschein fällt, soll anscheinend unsere richtige Verwandlung stattfinden. Vater Jason lässt dramatisch eine riesige dunkelblaue Bibel in die Zimmer mitte fallen, kniet darauf nieder, hebt den Blick zur Decke, dann sieht er uns einen nach dem anderen an und verkündet, dass wir hier lernen werden, in Zungen zu sprechen.
Natürlich machen wir uns alle in die Hose. Daryl McDonagh fragt unverzüglich, ob das wehtut. Vater Jason ignoriert ihn, klatscht in die Hände und ruft nach »Jacko« und »Fenzer«. Zwei Priestergehilfen tauchen plötzlich an seiner Seite auf, sie haben die Ärmel hochgekrempelt, ihre schwarzen Hemden sind am Kragen offen, und weit und breit ist kein weißes, priesterliches Hundehalsband zu sehen. Vater Jason dreht sich zu Daryl und sagt, dass er ganz sicher spüren wird, wie sein Kopf warm wird, weil der Heilige Geist von oben in ihn fährt, aber das Ganze sollte nicht allzu traumatisch sein. Dann wendet er sich an einen der Gehilfen und sagt, Es sei denn, du trägst den Teufel in dir. Dann steht uns ein ziemlicher Kampf bevor, was Jacko? Er zwinkert Jacko zu, als er das sagt, damit wir wissen, dass das schon ein Witz ist, aber irgendwie auch ernst.
Vater Jason beschließt, dass Daryl als Erster dran ist, um ihn von seinen Sorgen zu erlösen. Er bittet ihn, direkt auf der Bibel niederzuknien, und befiehlt uns allen, den Raum zu verlassen und uns draußen im Flur so in einer Schlange aufzustellen, wie wir es selbst für richtig halten. Ich lasse mir Zeit und verlasse als Letzter den Raum. Das Letzte, was ich sehe, ist, wie Daryls zitternder Umriss gehorsam auf der dunkelblauen Bibel kniet, während Vater Jason, Jacko und Fenzer ihre linke Hand über seinem Kopf schweben lassen und die andere auf ihr Herz legen.
Still stehen wir draußen vor dem Raum. Wir hören alles. Vater Jason und die Jungs beten wie verrückt, sie seufzen und spulen ihr gesamtes Repertoire ab. Ein Mix aus Vaterunsern und Ave-Marias und Rosenkranz-Best-ofs, zusammen mit Glaubensbekenntnissen und eucharistischen Anbetungen und Gott weiß was. Irgendwann steigern sie sich mit einem Sirenengeheul wie im Krieg in eine bestimmte Tonlage, wo sich ihre Worte vermischen, und sie alle jabbamäßig abgehen. Wacka-chucka-wanga-bang-jee-coke-pack-nu-neet-solo-see-mi-nigh dah-teel! Keiner von uns sagt ein Wort. Pilibeen fängt an zu schluchzen und zu japsen. Und dann kommt’s. Daryls Stimme, ultrahoch, macht einen auf Jabba der Hutte und alles. Eeeeeeeee-solo-seee-mi-ni-haaaaa-daaa-teeel-heilige-Mutter-Gottes-heilige-Mutter-Gottes-seeeeeeee-eeeeek-a-chow-a-wookie!
In der Schlange im Flur fangen die Jungs mit ziemlicher Entschiedenheit an, die Plätze zu tauschen. Alle wollen weiter nach hinten.
Nach zehn Minuten dieser Jabba-Nummer wird es totenstill. Die Tür schwingt auf, und Daryl kommt rausgeschossen, ganz rot im Gesicht, aber er platzt beinahe vor Stolz und Freude, als hätte er gerade so produktiv wie nie beim Weihnachtsmann auf dem Schoß gesessen. Er strahlt jeden von uns an, direkt in die Augen, und sagt, dass das das Geilste überhaupt war, total krass, und dass wir das ausprobieren müssen. Einfach unfassbar, Leute. Un-fass-bar!
Danach bricht quasi ein Sturm aufs grüne Zimmer
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