Nickel: Roman (German Edition)
aus dem Hosenbund und schloss die Augen. Öffnete sie. Stellte meine Ausrüstung zusammen. Hoffte, sie würde gut genug sein. Wusste, dass sie es vielleicht nicht war. Das nahm ich in Kauf.Arrow sollte da nicht mit hineingezogen werden, aber es ging nicht anders.
Als alles bereit war, ging ich ins Bett. Lag da und dachte an marode Häuser in Wohnvierteln, die unter die Räder gekommen waren. Dachte an Shelby – für mich nur ein Foto, für Arrow die kleine Schwester, für ihre Eltern eine Rettungsleine zurück in die Normalität. Dachte daran, dass ich in den Krieg zog. Falls Shelby dort war und ich sie da nicht herausbekam, würde auch ich nirgendwo mehr hingehen. Endlose Gedankenschleifen peitschten mein Hirn wie ein stürmisches Meer. Ich schlief nicht gut.
Kapitel 33
Arrow kam zum Treffpunkt, genau wie ich es ihr gesagt hatte, und ich reichte ihr die Tasche mit dem Ghillie-Anzug und der Maske, einem unbenutzten Wegwerfhandy und dem Spektiv. Plus zwei Fotos von Henry und Fred, so scharf, wie mein Drucker sie hinbekam.
Sie sah in die Tasche, wühlte darin herum und fragte: »Wofür ist das alles?«
»Damit du mir sagen kannst, wann er zur Arbeit kommt.«
»Ich komme mit dir.«
»Nein. Ich brauche dich im Wald, damit ich weiß, wann es sicher ist, ins Haus einzubrechen. Ich muss wissen, wann er geht, damit ich abhauen kann. Ich brauche dich hier viel dringender als dort, okay?«
»Das gefällt mir nicht.«
»Es braucht dir nicht zu gefallen, aber du musst das für mich tun, und jetzt hör auf mit mir zu streiten, okay?«
»Okay.«
Sie sah mich an, die Augen feucht und hoffnungsvoll. »Glaubst du, sie ist da?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass er in die Sache verwickelt ist.«
»Okay.«
Das schien sie ein bisschen zu beruhigen. Ich wünschte, es wäre wahr gewesen, aber zwischen Vermutung und sicherem Wissen klaffte ein Abgrund.
»Wenn du sie siehst, überprüf ihre Gesichter und Namensschildchen. Ich hab die Namen auf die Fotos geschrieben. Vergewisser dich. Wenn sie es nicht sind, versuchen wir es morgen noch mal. Aber gestern waren sie hier, und ich denke, heute arbeiten sie am selben Auftrag. Wir müssen einfach das Beste hoffen. Denk dran, das Wegwerfhandy zu benutzen, wenn du mich anrufst; meine Handynummer steht hintendrauf.«
»Okay.«
Ich stieg aufs Fahrrad und sah mich nicht mehr um. Ich fuhr einfach, versuchte nicht an das fehlende Hundewarnschild zu denken oder daran, dass die Polizei mich wegen Einbruchs in das Haus eines Mannes festnehmen könnte, dem nicht mehr vorzuwerfen war, als dass er neben einem Freund wohnte und seinen Garten nicht in Schuss hielt. Ich dachte an das, was ich zu tun hatte, und an die endlosen Möglichkeiten, wie sich die Sache entwickeln konnte. In meinem Leben ging es um Kontrolle, ich dachte immer drei, vier Schritte im Voraus, damit ich nie ins Hintertreffen geraten konnte. Heute sprang ich mit dem Kopf voran ins Leere, ins Ungewisse. Wenn ich clever war und mich an das hielt, was ich wusste, würde alles gut werden. Wer’s glaubt.
Die Häuser und Gärten unterwegs vollführten wieder ihren kleinen Zaubertrick und die Welt um mich herum erblühtezur Unterwürfigkeit – Kinder gingen zur Schule, Erwachsene zur Arbeit. Sie taten, was man ihnen sagte, blieben sauber. Normalbürger, daran war nichts Falsches, aber wenn sie bloß gewusst hätten, dass sie eine Wahl hatten, hätten sie sich dann das ausgesucht? Würden sie Steuern zahlen, für ein System arbeiten, das sie wie den Müll von gestern entsorgen konnte? Der Zusammenbruch der Automobilindustrie hätte eine Vorwarnung sein müssen: Gute Männer können ihren Job verlieren, wenn reiche Männer mit Geld spielen. Aber dieses Zeichen hatte offenbar niemand gesehen.
Diesmal stellte ich mein Fahrrad am anderen Ende der Duiker Road ab und lief zurück zu dem Haus, das zum Verkauf stand. Ich fühlte mich wie in der afrikanischen Savanne: ein Fremder umgeben von Fremdem. Hoffentlich würde ich den Löwen sehen, bevor er mich sah. Ich schlich zwischen den Häusern hindurch und bewegte mich so vorsichtig wie möglich Richtung Nummer 92. Es hatte kein Wagen in der Einfahrt gestanden, aber das musste nichts heißen. Ich setzte mich zwischen die Bäume, schlang die Arme um die Knie und hielt das Handy in zitternden Händen. Als es eine halbe Stunde später klingelte, hätte ich vor Schreck beinahe geschrien.
»Er ist hier.«
»Und der andere?«
»Nein, noch nicht.«
»Ruf mich an.«
Ich legte auf und
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