Nie Wirst Du Entkommen
ersten Herzanfall.«
Ihr Gesicht verhärtete sich. »Ich kümmerte mich um ihn, hasste ihn aber zu der Zeit. Und hasste mich, dass ich es tat und dass ich dir das angetan hatte. Als es ihm schließlich wieder gut genug ging, sagte ich ihm, dass ich eine Weile zu meiner Schwester ziehen würde. Ich bräuchte eine Pause. In Wirklichkeit kam ich aber hierher.«
Tess riss die Augen auf. »Du warst in Chicago? Das hast du mir nie gesagt.«
»Ich wollte auch nicht, dass es jemand weiß. Ich hatte noch die Visitenkarte und machte mich auf die Suche nach der Frau.« Gina drehte sich vom Fenster weg. »Sie erinnerte sich noch an deinen Vater und bestätigte mir jedes Wort, das er gesagt hatte. Nachdem er sie an jenem Tag aus dem Zimmer geworfen hatte, hatte sie ihre Agentur angerufen, die sich wiederum bei der ursprünglichen Kundin meldete. Die entschuldigte sich und sagte, ihr Geschenk sei für einen Mann im selben Zimmer nur eine Etage höher gewesen. Ich ging in die Agentur, und sie zeigten mir die Quittung der Kundin.«
Tess stieß den Atem aus, gleichzeitig erleichtert und entsetzt. »Es war alles nur ein Irrtum. Ich habe fünf Jahre wegen eines Irrtums verloren.« Sie verengte die brennenden Augen. »Aber warum hast du mir das um Himmels willen denn nicht
gesagt?«
Eine Minute lang schwieg Gina. Dann sagte sie sehr leise: »Weil ich dann hätte zugeben müssen, dass auch ich ihm nicht geglaubt habe. Und jedes Mal, wenn ich ihm in die Augen sah, begriff ich, dass ich ihm das nicht antun konnte. Es war ihm zu wichtig, glauben zu können, dass ich das Vertrauen in ihn hatte.«
»Und warum sagst du es ihr jetzt?«, fragte Vito mit unsicherer Stimme.
»Weil sie sich jetzt innerlich zerfleischt, ihm nicht geglaubt zu haben – genau wie ich«, erklärte sie, als ob Tess nicht dabei sei. »Sie denkt, sie bringt deinen Vater um, weil sie ihm nicht geglaubt hat. Sie denkt, ihre Sturheit ist schuld an seinem jetzigen Zustand.« Sie lächelte Tess traurig an. »Habe ich recht?«
Tess nickte. Der Klumpen in ihrer Kehle verhinderte jedes Wort.
»Du bist immer Papas Mädchen gewesen, Tess, mehr als meins. Dass er die letzten fünf Jahre keinen Kontakt mehr zu dir hatte … das hat ihn tatsächlich fast umgebracht, und das ist keine Übertreibung. Aber nur weil du Michaels Kind gewesen bist, heißt das nicht, dass ich dich weniger liebe oder verstehe. Er wollte seinen Frieden mit dir machen, und ich wusste, dass ich es auch tun musste. Aber ich habe mehr Grund, mich zu entschuldigen, denn im Gegenteil zu deinem Vater, der tatsächlich nichts getan hat, habe ich einen bösen Fehler begangen. Verzeih mir, Tess.«
Ein langes Schweigen breitete sich im Raum aus. Vito ließ den Kopf hängen, während Gina und Tess einander ansahen.
»Weißt du, Mom, ich weiß nicht, ob ich dir dankbar sein soll, weil du versuchst, mir meine Schuldgefühle zu nehmen, oder ob ich böse auf dich bin, weil du das Geheimnis so lange für dich behalten hast«, murmelte Tess schließlich, und Vito hob den Kopf und bedachte sie mit einem müden, traurigen Blick.
»Ich denke, das eine schließt das andere nicht aus«, erwiderte ihre Mutter ruhig.
»Die Wahrheit ist, dass ich dir vor dem heutigen Tag wahrscheinlich sowieso nicht geglaubt hätte. Nach heute wäre es nicht mehr wichtig, ob
du
ihm glaubst oder nicht. Also hat es sich irgendwie ausgeglichen.« Ihr Blick glitt zur Tür, hinter der ihr Vater schlief. »Ich sollte hierbleiben … bei ihm … irgendetwas tun …«
Gina schüttelte den Kopf. »Das würde er nicht wollen. Du hast andere Dinge zu erledigen. Er ist wieder wach, wenn du zurückkommst.«
Tess warf Vito einen Blick zu. »Ich muss meine Praxis aufräumen und um meine Lizenz kämpfen. Bacon ist tot und Clayborn verhaftet. Du brauchst nicht mehr hierzubleiben, Vito. Du hast dir schon lange genug Urlaub genommen.«
Vito schüttelte den Kopf. »Reagan glaubt nicht daran, dass Bacon für die Selbstmorde verantwortlich ist. Er hat zwar nichts gesagt, aber es war zu spüren.«
Tess spürte, wie ihre Brust sich verengte. »Nein, er glaubt es nicht. Da ist noch etwas, das ihr wissen solltet. Der Mann, den sie gestern tot in der Badewanne gefunden haben, hat die Kameras in meiner Wohnung und in der Praxis installiert.«
Gina nickte. »Daher wusste der Täter von deinen Patienten. Das hast du uns schon erzählt.«
Tess richtete den Blick zur Decke. »Ich habe euch allerdings nicht erzählt, dass auch eine Kamera in meinem Bad war.
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