Nixenblut
der Länge nach an den Strand geworfen. Ich rappele mich auf, huste und würge. Meine Augen sind blind vor Salz, meine Ohren voller Sand. Ich kann weder sehen noch hören. Ich bin wieder an Land, dort, wo ich hingehöre.
Faro ist verschwunden. Das Boot tuckert um die Felsen herum, seinem Liegeplatz entgegen. Der Lärm seines Motors hallt durch die Bucht und verheißt nichts Gutes.
Sechzehntes Kapitel
B itte verschwinde nie wieder, ohne mir vorher Bescheid zu geben«, sagt Mum. »Wenn Conor mir nicht gesagt hätte, dass du mit Sadie spazieren gehst, hätte ich mir wirklich Sorgen gemacht.«
»Tut mir Leid, Mum. Es war so heiß, dass ich mit Sadie im Bach geplanscht habe.«
»Das sehe ich. Du bist ja völlig durchnässt. Ihr wart stundenlang unterwegs.«
Nur Stunden, denke ich erleichtert. Die Zeit in Indigo und an Land war diesmal gar nicht so verschieden. Wenn die Zeit ein Fächer ist, dann hat sie sich diesmal nicht weit genug geöffnet, um Mums Zeit von meiner zu trennen. Gute Idee von Conor zu sagen, ich sei mit Sadie spazieren gegangen. Mum hat nicht daran gezweifelt, weil Conor eigentlich immer die Wahrheit sagt.
Doch mir zuliebe hat er gelogen. Oder war es Mum zuliebe ? Er wollte einfach nicht, dass sie sich Sorgen macht.
Ich muss zugeben, dass ich nicht immer die Wahrheit sage. Als ich klein war, habe ich getobt und geschrien, wenn mir jemand meine Geschichten nicht glaubte. Ich erzählte, dass unter dem Rosmarinbusch kleine Elfen lebten, denen ich eine Höhle gebaut hätte. Ich besaß auch ein eingebildetes kleines Kätzchen, das ich jeden Morgen mit Milch fütterte. Ansonsten aß es nur Whiskas, wie ich es von den Katzen
im Fernsehen kannte. Einmal hat mir Dad sogar eine ganze Palette mit Whiskas gekauft, doch Mum wurde fürchterlich böse und ließ mich die Dosen nicht öffnen.
»Sapphy hat eben eine lebhafte Fantasie«, sagte Dad.
»Hör auf, alles mitzumachen, Mathew. Sie muss endlich den Unterschied zwischen Fantasie und Wirklichkeit begreifen. «
Doch manchmal sind Fantasie und Wirklichkeit nur schwer auseinander zu halten, und das Leben ist einfacher, wenn man die Realität ein bisschen ausschmückt …
»Wo ist Conor jetzt, Mum?«, frage ich beiläufig.
»Der ist mit Roger mit dem Boot rausgefahren. Sie wollten den neuen Motor ausprobieren und die Wassertiefe bei den Bawns messen. Du weißt doch, dass Roger später dort tauchen will. Warum gehst du nicht erst mal nach oben, Sapphy, ziehst dir trockene Sachen an und räumst dein Zimmer auf, während ich mit dem Bügeln weitermache. Und vielleicht könntest du die Wäsche für mich sortieren. Ich muss noch eine Maschine waschen, ehe die Jungs zurückkommen. «
Die Jungs, denke ich ärgerlich. Als würde Roger schon zur Familie gehören. Ich denke angestrengt nach, während ich langsam die Treppe hinaufgehe. Roger will also an verschiedenen Orten die Wassertiefe testen, um herauszufinden, ob man dort tauchen kann. Die Bawns sind ein großes Riff, das ungefähr eine Meile vor der Küste liegt. Das Riff befindet sich größtenteils unter Wasser, doch einige Felsen ragen auch über die Oberfläche hinaus. Ihr sichtbarer Teil ist schwarz und zerklüftet, doch was man nicht sehen kann, ist die Reihe der Felsen, die wie scharfe Zähne unter der Oberfläche liegen. Diese verborgenen Felsen sind am gefährlichsten.
In früherer Zeit, als die Schifffahrtswege noch dichter an der Küste vorbeiführten als heute, wurden die Schiffe manchmal von Wind und Gezeiten auf das Riff zugetrieben und zerschellten dort nachts oder bei Nebel.
Bei schlechtem Wetter wird das Riff von der tosenden Brandung verborgen. Wenn sich die Wellen an den Felsen brechen, schießt die Gischt in die Höhe, als würden die Steine selbst das Wasser ausstoßen, wie Wale. Ich schaudere bei dem Gedanken, dort schwimmen zu müssen. Dad hat mir mal erzählt, dass ein Junge am Morgen nach einem Schiffbruch in unserer Bucht gefunden wurde. Er war an den Strand geworfen worden und hielt sich immer noch an einem glitschigen Holzstück fest. Die Menschen, die ihn fanden, konnten seine Finger nicht davon lösen.
Rätselhafterweise war der Junge immer noch am Leben. Sie schlugen ihn in Wolldecken ein, trugen ihn die Klippen hinauf, entzündeten oben am Weg ein Lagerfeuer, an dem er sich wärmen konnte, und flößten ihm Weinbrand ein. Doch wurde seine Sprache von niemandem verstanden. Sie haben nie herausgefunden, aus welchem Land er kam. Sie nannten ihn Petrus, weil der heilige Petrus in
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