Noah: Thriller (German Edition)
Hülle über den Knochen. Die glasigen Augen tränten fiebrig. Er glühte. Noah konnte die Hitze spüren, die Altmanns Körper von innen zerfraß, ohne dass er ihn berühren musste.
»Vielleicht ist es nur eine schwere Erkältung«, hatte er ihn (und sich selbst) während des Fluges noch beruhigen wollen, doch jetzt gab es keinen Anlass mehr zur Hoffnung. Altmann litt unter den typischen Symptomen, mit denen die ansteckende Phase der Manila-Grippe begann.
»Ich habe das Gefühl, als würde sich Säure statt Blut durch meine Adern fressen«, erklärte er. »Wenn ich spreche, habe ich Angst, einen Teil meiner Eingeweide auszuspucken. Hätte ich eine Morphiumspritze zur Hand, würde ich sie mir sogar direkt ins Auge setzen, wenn das helfen würde. Und eines kann ich Ihnen versichern …« Er sah erst zu Celine, dann zu Oscar. »Euch allen wird es in den nächsten Tagen ganz genauso ergehen, wenn wir diesen Kilian Brahms und das Video nicht finden. Selbst dann sind die Chancen, dass unser Held hier«, er zeigte auf Noah, »sein Gedächtnis und damit eine Lösung des Pandemieproblems findet, äußerst gering. Aber es ist immerhin eine Chance. Und die hätten die beiden Polizisten am Pier zerstört. Also musste ich sie töten.«
»Das ist doch Blödsinn«, fauchte Celine.
Altmann seufzte und sagte zu Noah gerichtet: »Erklär du’s ihr, David.« Es war das erste Mal, dass er ihn mit diesem Namen ansprach.
Celine drehte sich zu Noah, mit weit aufgerissenen Augen, eine Mischung aus ungläubiger Überraschung und Furcht im Blick. »Was erklären, Noah? Du bist doch nicht etwa seiner Meinung?«
Sein beredtes Schweigen war Antwort genug.
»Das glaube ich nicht, nein. Sag mir nicht, dass du auf seiner Seite stehst.«
Aus irgendeinem Grund hatte Noah das Gefühl, sich entschuldigen zu müssen, obwohl er wusste, dass Altmann recht hatte. Schlimmer noch. Er wusste, er hätte ebenso handeln müssen. Sein Zögern hatte alle in Gefahr gebracht, im Grunde genommen war es ein Glücksfall, dass sie Altmann schlecht gefilzt hatten und er doch noch eine Waffe an seinem Körper versteckt gehalten hatte.
Er machte sich nicht länger etwas vor. Er und Altmann waren aus einem ähnlichen Holz geschnitzt. Sein Gefühl hatte ihn nicht getrogen, er hatte es in der Sekunde gespürt, die er ihn auf dem Berliner Hauptbahnhof gesehen hatte. Sie waren beide Profis. Keine Psychopathen, denen das Töten Spaß machte. Aber Killer, die in Sekundenbruchteilen eine Güterabwägung trafen: Was war ein Menschenleben wert, und wann musste man es opfern, wenn das Ziel es verlangte?
»Haben Sie etwa auch Ihr Gedächtnis verloren, Miss Henderson?«, fragte Altmann. »Ihr Freund hat vor nicht allzu langer Zeit einen Mann in einem Hotelzimmer hingerichtet. Zwei Personen in einem Elektronikmarkt ausgeschaltet, und abgesehen von dem Dreckstück, das Sie vergewaltigen wollte, hat er auf einer Baustelle in Amsterdam zwei weitere Menschen erschossen.«
»Aber das ist doch nicht vergleichbar«, protestierte Oscar.
»Nein? Die Männer hatten sich ihm in den Weg gestellt und wollten ihn in Gewahrsam nehmen, um ihn an einen Ort zu bringen, zu dem er ihnen nicht freiwillig folgen wollte. Genau wie die Carabinieri. Wo bitte liegt der Unterschied?«
»Das waren Polizisten.«
»Und ich arbeite für die Regierung der USA.«
»Sie hätten den beiden in die Beine schießen können«, versuchte Oscar zu handeln.
Altmann runzelte die Stirn. »Dann wohl eher in den Arm, nur was, wenn ich nicht getroffen hätte?«
»Aber der andere war unbewaffnet«, protestierte Celine, wenn auch mit deutlich weniger Nachdruck als zuvor.
»Haben Sie ihn genauso gut überprüft wie mich? Und was hätte ihn abgehalten, nach dem Maschinengewehr seines Kollegen zu greifen? Für Experimente war keine Zeit.«
Wieder sah Altmann nach oben, und diesmal kommentierte er seinen Blick in den klaren Sternenhimmel:
»Wir haben wahrhaft andere Probleme, als über Moral zu philosophieren.«
»Was zum Teufel gibt es denn da oben?«, überbrüllte Oscar das Röhren des wieder beschleunigenden Motors.
»Nichts«, antwortete Altmann. »Und genau das bereitet mir Sorgen.«
»Wie meint er das?«, fragten Celine und Oscar wie aus einem Mund.
Noah erklärte es ihnen, und als er geendet hatte, sah er, wie sich in ihren Gesichtern die reine Furcht abzeichnete.
Das Mindeste wäre ein Hubschrauber gewesen, der sie verfolgte. Doch davon war nichts zu sehen oder zu hören. Kein Flugzeug, keine
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