Nobels Testament
schweifen.
»Sag nicht ›ach ja‹«, fuhr Anne fort. »Ich habe bald alles ausgepackt. Weißt du, dass ich acht Käsehobel besitze? Das ist doch krank. Und der ganze Speicher steht voll Schallplatten … Überhaupt: Du hast nicht zufällig Lust, mal vorbeizukommen und ein paar davon einzusammeln? Nein?«
Sie seufzte, als Annika abwehrend die Hände hob.
»Du warst nie besonders musikbegeistert«, sagte Anne.
»Ist Miranda bei Mehmet?«, fragte Annika und ging zurück in die Küche, wo die Mikrowelle piepste.
Anne antwortete nicht sofort. Sie folgte Annika und lehnte sich an die Spülmaschine, die Arme verschränkt.
»Und spielt mit ihm und seiner neuen schwangeren Verlobten Familienglück, ja«, sagte sie dann leise.
Annika rührte in der Wurst.
»Willst du etwas essen?«, fragte sie.
»Nein, aber eine verdammt große Flasche Rotwein«, antwortete Anne.
Als sie sah, wie Annika erstarrte, beeilte sie sich zu lachen.
»War bloß ein Witz«, sagte sie. »Ich hab aufgehört, das habe ich doch versprochen.«
»Fühlst du dich in der Wohnung wohl?«, fragte Annika, statt darauf einzugehen, und füllte Wasser in eine Karaffe.
»Es geht so«, sagte Anne. »Natürlich ist es gut, bei Mehmet nebenan zu wohnen, für Miranda ist es ja jetzt näher, aber Jugend ist nicht mein Stil.«
Annika kippte das Wasser wieder aus und füllte kälteres nach. Ihre Wangen waren heiß geworden, irgendwie kam sie sich dumm vor. Anne Snapphane hatte in die Stadt ziehen wollen, damit ihre Tochter näher bei ihrem Vater sein konnte. Sie sollte immer die Möglichkeit haben, ihre Freunde zu sehen und die gleiche Schule zu besuchen. Als Annika plötzlich in Geld schwamm, war es eine Selbstverständlichkeit gewesen, Anne ein zinsfreies Darlehen anzubieten, damit sie ihr Leben in Ordnung bringen konnte. Als herauskam, dass vor Mai nicht mit dem Geld zu rechnen sein würde, war Anne an die Decke gegangen. Sie musste
jetzt
umziehen, ihre zukünftige Wohnung stand
heute
zum Verkauf, und sie konnte nur
dort
wohnen.
Annika hatte mit ihrem zu erwartenden Finderlohn für einen einstweiligen Bankkredit gebürgt. Jetzt schien Anne den ganzen Umzug höchst lästig zu finden.
»Hast du etwas von TV Scandinavia gehört?«, fragte Annika und wechselte noch einmal das Thema.
Anne kicherte.
»Mein vormaliger Arbeitgeber hat mitgeteilt, dass er keine Abfindung bezahlen können wird, das ist alles, was ich gehört habe. Wenn ich etwas einzuwenden hätte, stünde es mir frei, sie vor einem Gericht in New Jersey zu verklagen. Hm, wie mache ich das bloß? Ich glaube, ich tanke mal eben meinen Privatjet auf und sause schnell rüber …«
Sie seufzte schwer.
»Wo ich doch schon Probleme habe, das Geld für eine Netzkarte zusammenzukratzen.«
»Kinder!«, rief Annika in Richtung Wohnzimmer. »Essen kommen!«
»Ich habe mir überlegt, Vorträge zu halten«, sagte Anne und schwang sich auf die Anrichte. »Ich glaube, ich könnte einen tollen Vortrag über die Spielarten des Lebens oder so hinbekommen. Es gibt einen unglaublichen Markt für Führungskraftentwickler und Selbstverherrlicher und solchen Humbug. Was meinst du?«
»Was ist jetzt? Willst du mitessen?«, fragte Annika. »Wir wollten gerade anfangen.«
»Wurst? Nein, danke.«
»Ich kann einen Salat machen, wenn du willst«, bot Annika an.
Anne rutschte aufgeregt auf der Küchenanrichte hin und her.
»Jetzt sag doch mal, was du von meiner Idee hältst!«
»Kommt ihr bitte, bevor alles kalt wird«, rief Annika. »Ja, Vorträge sind ganz gut, aber worüber willst du denn reden?«
»Über mich, natürlich!«, sagte Anne und hob die Arme. »Darüber, wie ich meinen Alkoholismus überwunden habe, wie ich mich aus der Gosse kämpfte, nachdem ich als Fernsehchefin gefeuert wurde, und darüber, wie es mir gelingt, ein nahes und großzügiges Verhältnis zu meinem Ex-Mann zu haben, während er eine neue Familie gründet.«
Die Kinder kamen in die Küche und kletterten auf ihre Stühle.
»Wurst Frogganoff, yummi«, sagte Ellen.
»Das heißt Stroganoff«, sagte Kalle. »Und das ist genauso lecker wie bei der Nobelpreis-Gala, oder, Mama?«
Annika lachte ihren Sohn an, Anne verdrehte die Augen.
»Ach du lieber Himmel, du bist ja mitten in diesem Spektakel gelandet«, sagte sie. »Du Arme, dass du über solchen Mist berichten musst, konntest du nicht in Streik gehen?«
»Es war eigentlich ganz nett«, sagte Annika. »Bis … ja, du weißt schon.« Sie verstummte und deutete vielsagend mit der
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