Noch ein Kuss
Carly.
»Wahrscheinlich hat irgendetwas dir Appetit gemacht.« Seine Augen glänzten vor Verlangen.
»So wird es sein.« Carly schluckte schwer. »Doch das bedeutet nur, dass ich es mir später wieder abtrainieren muss.«
Mike lächelte vielsagend. »Dafür werde ich schon sorgen.«
Also blieb ihnen noch etwas Zeit. Nur wie viel?
Carly hatte das Gefühl, auf einer Zeitbombe zu sitzen, die jederzeit hochgehen konnte. Ja, sie hatte Angst vor dem Augenblick, in dem Mike unwiderruflich aus ihrem Leben verschwand. Aber er hatte recht. Sie hatte auch Angst vor dem, was passieren konnte, wenn sie zusammenblieben; Angst davor, dass er das Interesse verlor – oder schlimmer noch, dass sie sich für jemand anderen interessierte. Obwohl Carly sich, wenn sie den Mann betrachtete, der ihr gegenübersaß, nicht vorstellen konnte, dass sie jemals versucht sein würde, sich anderweitig umzusehen. Denn was wollte sie mehr?
Wo also stand sie nach all diesem Grübeln? Carly schaute auf – und blickte direkt auf einen Becher mit frittiertem Eis. Das Räuspern des Kellners veranlasste sie, hastig Platz für das köstliche Dessert zu schaffen. Die Karamellsoße tropfte schon über den Rand. Mit einem Löffel durchbrach sie die äußere Hülle und tauchte tief in das darunter versteckte Vanilleeis ein. Sich auf ihr Essen zu konzentrieren, bot ihr die Gelegenheit, der Realität zu entfliehen, und sie nutzte die Chance nur allzu gern.
Sie steckte den Löffel in den Mund, schloss die Augen und kostete den Geschmack. »Mmmm.«
Genau wie bei der Zuckerwatte im Freizeitpark, dachte Mike. »Machst du das Essen eigentlich immer zu einem sinnlichen Erlebnis?«, fragte er. »Oder nur, wenn ich dabei bin?«
Ein rosiger Hauch überzog Carlys Wangen. »Ich habe für einen Moment vergessen, dass ich nicht allein bin.« Sichtlich verlegen schob sie den Teller in die Mitte des Tisches.
Mike schob ihn wieder zurück. »Kümmer dich nicht um mich, mir macht es Spaß, dir zuzusehen.« Er bewunderte ihre weiblichen Kurven und ihre Fähigkeit, das Leben ohne Vorbehalte zu genießen, inklusive der Kalorien.
Carly zuckte die Achseln, tauchte den Löffel wieder in ihr Eis und genoss ihr Dessert.
»Wie kommst du mit deiner Kolumne voran?«
»Ziemlich gut. Ich habe die Fragen für den nächsten Monat bearbeitet und die Antworten an die Zeitschrift gefaxt.«
»Und was ist mit dem Buch?«
»Da habe ich bisher nur die Gliederung fertig.« Carly unterbrach sich, um einen Schluck Wasser zu trinken. »Ich denke, es sollte drei Themenbereiche umfassen.«
»Und die wären?« Mike lehnte sich zurück und sah sie aufmerksam an.
»Interessiert dich das wirklich?«
»Selbstverständlich. Wieso fragst du?«
Carly biss sich auf die Unterlippe. »Vielleicht willst du nur höflich sein.«
Unter dem Tisch ballte Mike die Hände zu Fäusten. »Ich mache dir nichts vor, verdammt nochmal.«
Carly nickte so erschrocken, dass sich ein paar blonde Strähnen aus ihrem Zopf lösten und ihr ums Gesicht fielen, ehe sie wieder hinters Ohr geschoben wurden. »Weiß ich doch.«
Wirklich? Stumm verfluchte Mike das Wiederauftauchen seines Bruders, denn anscheinend hatte es bei Carly nochmal genau die Fragen aufgeworfen, die er für geklärt gehalten hatte. »Aber vielleicht möchte ich für gute Stimmung sorgen.«
»Ja?«
Diesmal fluchte Mike laut. »Eins wollen wir doch mal festhalten. Ich bin weder ein Charmeur noch ein Heuchler. Das wäre schlimm für uns beide.«
Carly ließ den Blick auf ihren Teller sinken und stellte fest, dass das Eis dabei war zu schmelzen. »Wenn ich mich nicht für deine Arbeit interessieren würde, hätte ich nicht danach gefragt«, sagte Mike barsch, um Carlys Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken.
Und es funktionierte. Verblüfft riss Carly die Augen auf und starrte ihn an. »Verstanden«, erwiderte sie ebenso barsch.
Wenigstens war nun ihr Kampfgeist geweckt, dachte Mike. »Und da wir schon dabei sind, würde ich es begrüßen, wenn du dir eins merken könntest: Ich bin nicht Peter. Ich handle anders als er, und ich ticke auch anders als er, verdammt.« Mike schlug so hart auf den Tisch, dass das Wasser in ihren Gläsern überschwappte.
Carly grinste. »In der Hinsicht gebe ich dir recht. Und ob du es glaubst oder nicht, ich weiß den Hinweis zu schätzen.«
Erleichtert stieß Mike die Luft aus. Die Förmlichkeit des Essens hatte an seinen Nerven gezerrt. An diesem Tag hatten sie ein solches Wechselbad der Gefühle erlebt, dass er
Weitere Kostenlose Bücher