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Noch ein Tag und eine Nacht

Noch ein Tag und eine Nacht

Titel: Noch ein Tag und eine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Volo
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möglich wäre. Die Idee ist mir gekommen, weil ich glaube, dass wir etwas gemeinsam haben. Eine Vertrautheit, die man erleben und erkunden könnte. Es wäre schade, das zu versäumen. Es ist immer aufregend, einem Geistesverwandten zu begegnen. Und das bist du nun mal für mich. Mit dir spüre ich das Flimmern.«
    »Was meinst du mit Flimmern?«
    »Den Einklang mit einem anderen Menschen. Die Wahlverwandtschaft. Das, was man mit anderen nicht mal nach Jahren hat.«
    Ich wusste wirklich nicht, was ich sagen sollte.
    »Die Mittagspause ist zu Ende, ich muss gehen, denk drüber nach… Ciao, bis später.«
    Sie gab mir einen Kuss und ging. Ich machte mich auf zum nächsten langen Spaziergang und konnte an nichts anderes denken als an dieses Spiel. Ich verstand nicht, wozu es gut sein sollte. Wozu spielen, man wäre verlobt? Den Moment genießen hätte völlig gereicht. Aber Michela war ja nicht dumm. Wenn sie mir einen solchen Vorschlag machte, dann steckte etwas dahinter. Mir fiel wieder ein, was ich am Morgen zu ihr gesagt hatte: »Hör zu, ich will dir keine Angst einjagen, aber ich fühle mich dir sehr nahe, ich gewöhne mich daran, mit dir zusammen zu sein, und gestern Abend, als wir zusammen geduscht und uns dann geliebt haben, war mir, als würde ich dich schon ewig kennen. So etwas habe ich noch nie empfunden. Aber das soll dich jetzt nicht erschrecken. Heute Morgen, als ich aufwachte, hatte ich sogar Lust, nach unten zu gehen und Blumen für dich zu kaufen, aber dann hatte ich Angst, das wäre vielleicht übertrieben.«
    »Blumen schenken«, hatte Michela geantwortet, »tut man, aber man redet nicht darüber. Und wenn ich furchtbar ängstlich wäre, dann wärst du nicht hier, stimmt’s? Also hör auf, so überheblich zu sein.«
    »Überheblich? Wann war ich denn überheblich?«
    »Du bist überheblich. Seit du hier bist, sagst du dauernd, ich soll keine Angst haben, ich soll mir keine Sorgen machen. Am ersten Abend zum Beispiel, als wir essen waren, hast du gesagt, du bist hergekommen, weil du Lust hattest, mich wiederzusehen. Das war ein schöner Satz. Er hat mich berührt. Warum musstest du gleich hinterherschieben, ich solle das nicht missverstehen, ich solle keine Angst haben? Und jetzt hast du wieder gesagt, ich soll mir keine Sorgen machen. Du bist überheblich. Du glaubst, du müsstest alles erklären, du meinst, du müsstest andere vor dir schützen oder warnen. Auf den ersten Blick wirkt das rücksichtsvoll, doch in Wirklichkeit zeugt das von einem Überlegenheitskomplex.«
    »Überlegenheitskomplex?«
    »Wir sind erwachsene Menschen: Jeder ist sein eigener Herr. Und wenn der andere leidet, dann bedeutet das nur, dass er Lehrgeld zahlen musste, dass er vermutlich eine nützliche Erfahrung gemacht hat. Das sollte einen nicht kaltlassen, aber wahnsinnige Sorgen muss man sich deshalb auch nicht machen. Denn Angst hat hier nur einer, und das bist du. Ich weiß nicht, weshalb du mir in der Straßenbahn aufgefallen bist. Nicht alles in meinem Leben geschieht, weil ich es so beschlossen hätte. Du hast meine Neugier geweckt. Mehr nicht. Aber jetzt können wir entscheiden, wie es weitergehen soll. Das Leben ist nicht das, was geschieht, sondern das, was wir aus dem, was geschieht, machen…«
    »Deshalb bin ich ja hier, schätze ich. Um zu lernen, mit mehr Gelassenheit zu leben. Ich mag dich, Michela. Und diesmal sage ich nicht: keine Angst.«
    »Ich mag dich auch, Giacomo.«
    Michela ist mir gegenüber immer sehr direkt gewesen. Wie Silvia. Aber Michela mochte ich auf eine andere Art. Vielleicht sollte dieses Spiel bezwecken, dass ich mich völlig frei fühlte zu tun, was ich wollte. Vielleicht hatte sie es weniger um unseretwillen vorgeschlagen als um meinetwillen. Vielleicht war es nur ein Spiel, aber im Grunde genommen war es mir wie auf den Leib geschneidert, ich merkte, wie mir immer neue Gelüste kamen. Ich wollte mit ihr schlafen, sie anfassen, sie riechen, ihren Körper unter meinem spüren. Meine flache Hand unter ihren Rücken legen und ihre Knochen spüren, während ihr Körper sich bog. Ich hatte Lust auf Eindrücke, Seufzer, Vertraulichkeiten, Lachen und Geflüster. Lust auf Aufmerksamkeiten, Zärtlichkeiten, Liebkosungen. Ich hatte Lust, ihr ins Ohr zu flüstern, wie sehr sie mir gefiel. Und ich hatte Lust, sie zu küssen. Immerzu. Lust, mit ihr im Bett zu liegen, nachdem wir uns geliebt hatten, zu schwitzen, Obst zu essen, auf die Welt zu pfeifen. Ich wollte mich völlig meinen Gefühlen

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