Noch Einmal Sollst Du Buessen
von Victors Manöver ablenken. „Das war ein schmutziger Trick, Dad“, sagte sie kühl und ließ die Schlösser ihres Koffers laut zuschnappen.
„Was?“
Sie drehte sich zu ihrem Vater um. „Du hast Kent aufgetragen, der Presse das Trauungsdatum bekannt zu geben, nicht?“
„Natürlich nicht …“
„Kent würde nie etwas ohne dein Okay tun“, beharrte sie. „Dazu ist ihm seine kostbare Karriere viel zu wichtig.“
„Ich habe nicht …“
„Dad, lüg nicht! Es setzt uns beide herab, findest du nicht?“
Ihr Vater schien protestieren zu wollen, doch dann stieß er einen langen Seufzer aus. „Okay, ich habe mit Kent abgemacht …“
„O Dad! Wie konntest du nur!“
„Es sollte ein Ablenkungsmanöver sein. Ich hatte Drake entdeckt und wusste, dass er Unruhe stiften würde. Dann kam noch diese Reporterin, Judith Marx …“ Er schüttelte sich. „Die Frau ist ein Piranha.“
„Warum hast du dann Drake nicht zur Rede gestellt?“, fragte Marnie befremdet.
„Das hätte es nur schlimmer gemacht. Übrigens war ich schon hinter Drake her, als er in den Bankettsaal ging. Aber dann hat Senator Mann mich aufgehalten. Ich sah all die Reporter herumwieseln und zählte zwei und zwei zusammen. Statt einen großen Bericht über die Hoteleröffnung zu bringen, hätten die Zeitungen morgen die alte Story wieder aufgewärmt und nur über die vielen Probleme beim Bau des Puget West geschrieben. Du wirst einsehen, dass wir nicht noch mehr schlechte Presse brauchen.“
Marnie war wie gelähmt. Sie fühlte sich von ihrem Vater verraten, von dem einzigen Menschen, den sie hatte. „Toll!“, murmelte sie tonlos. „Großartig habt ihr das gemacht. Ich war also die Ablenkung.“
Victor räusperte sich verlegen. „Zuerst war ich nicht dafür, als Kent es mir vorschlug. Aber dann sah ich Drake und diese Reporterin und gab ihm grünes Licht für die Ankündigung eurer Hochzeit.“
„Du bist unglaublich“, flüsterte Marnie. „Einfach unglaublich. Dad, es geht um mich. Um mein Leben!“
„Marnie, du musst verstehen …“
„O ja, ich verstehe, Dad“, sagte sie traurig, als ihr klar wurde, dass ihm das Unternehmen wichtiger war als ihr Glück. „Du kannst Kent etwas bestellen. Sag ihm, dass ich die ‚Marnie Lee‘ nehmen werde. Wenn er Theater macht, erinnere ihn daran, dass sie zur Hälfte mir gehört. Also nehme ich mir meine Hälfte. Pech für Kent, dass seine Hälfte untrennbar daran festklebt.“
„Einen Moment – sag mir wenigstens, wohin du fährst.“
„Das weiß ich nicht.“
„Du weißt es nicht? Du kannst doch nicht ohne Plan und Ziel einfach ins Blaue fahren.“
„Genau das werde ich tun. In den nächsten paar Tagen werde ich mir überlegen, was ich mit meinem Leben tun will. Wahrscheinlich wird es eine Weile dauern, bis mir eine Idee kommt. Auf jeden Fall werde ich mich bei dir melden, wenn ich zurück bin. Dann werde ich wissen, was ich will. Auf Wiedersehen, Dad.“
Entschlossen ergriff Marnie ihren Koffer, marschierte aus der Suite und ging über den Korridor zu einem privaten Fahrstuhl, der sie direkt zur Garage beförderte. Von dort waren es nur ein paar Schritte zu den Gartenanlagen des Hotels, über die man zu den Piers gelangte. Bei der Anlage wurde wirklich an alles gedacht.
Draußen strich der Wind durch die Baumkronen. In stetem Rhythmus klatschten die Wellen ans Ufer. Marnie liebte diese Stimmung am Sund sehr und ging den Pfad zum Wasser hinunter, unter der Kette der tanzenden bunten Lampions.
Als sie die „Marnie Lee“ erblickte, lächelte sie. Kent würde sich in Krämpfen winden, wenn er erfuhr, dass sie sich genommen hatte, was er als sein persönliches Eigentum ansah. Als stolzer Kapitän war er in den vergangenen Monaten auf der Jacht herumgeschippert, die ihr Vater ihnen beiden zur Verlobung geschenkt hatte. Jetzt übernahm sie das Kommando, und Kent sollte in seinem eigenen Saft schmoren. Hochzeit im August – von wegen!
Sie warf ihren Koffer mit einem Schwung an Deck und machte gekonnt die Leinen los. Dann kletterte sie an Bord. Der Motor sprang sofort an, und die Schraube wirbelte weiße Gischt auf. Marnie manövrierte das Schiff geschickt um die anderen Boote herum und steuerte auf den offenen Sund zu.
Ihr Ziel war Orcas Island. Dort gab es eine leer stehende alte Ferienanlage, die ihr Vater gekauft hatte und zu modernisieren gedachte. Der Park des Hotels war ein idealer Ort, um draußen zu kampieren. Marnie stellte sich vor, dass sie in der
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