Noch nicht mal alleinerziehend
an, heftiger, als ihr bewusst war. »Aber du wolltest doch nie Kinder.«
»Du wolltest nie Kinder, Nora. Du. Ich wollte immer das ganze Paket, falls du dich erinnerst.«
»Aber ihr seid doch erst so kurz zusammen.«
»Man weiß halt, wenn’s passt. Wir heiraten übernächsten Monat, am 26. Juli.«
Nora spürte einen Stich in ihrem Herzen. Das konnte doch nicht wahr sein. Der Schmerz in ihrer Brust war überwältigend. Fast genauso überwältigend war die Erkenntnis, dass sie trotz ihrer Reaktion nicht wirklich überrascht war. Vielmehr schien sie immer gewusst zu haben, dass Tobi eines Tages ein Kind haben würde. Nur nicht mit ihr. Aber mit Daniela? Jetzt schon?
»Nora, jetzt sieh mich doch nicht so an. Das ist ja furchtbar.«
»Ich brauche Alkohol.«
»No, hey. Schau, es ist doch so: Du wolltest das alles nie. Ich habe ganz lange neben dir gelebt und mich nach dir gerichtet, anstatt nach dem, was ich wollte. Ich habe an unsere Zukunft geglaubt, gehofft, abgewartet, auf die Liebe vertraut und mich nicht mehr getraut zu sagen, was ich brauche, wie ich leben will. Weil ich zusehen musste, wie du dich immer mehr von mir entfernt hast. Wie du immer mehr meine beste Freundin wurdest, anstatt meine Frau zu sein. Ich habe mich lange dagegen gewehrt. Ich war wütend und verletzt darüber, wie du mich am ausgestreckten Arm hast verhungern lassen. Wie du so getan hast, als wäre alles wunderbar, obwohl du schon längst durch die Tür warst. Lange bevor wir uns getrennt haben. Das war sehr schmerzhaft für mich.«
Nora kullerten jetzt die Tränen über die Wangen. »Ich wollte dir nie, nie wehtun.«
»Das weiß ich doch. Ich habe es halt vor dir begriffen und wollte es nicht wahrhaben.«
»Ich hab dich doch so lieb«, schluchzte Nora jetzt. »Du bist mein Nummer-Eins-Mensch.«
»Und du meiner! Das wirst du auch immer bleiben. Wir beide, No, wir sind Freunde fürs Leben. Aber ich bin nicht dein Mann und du nicht meine Frau. Und du weißt das genauso gut wie ich.«
Nora wusste, dass er Recht hatte. Sie hätte ihm die Familienpackung nie bieten können. Und jetzt hatte er die Sache eben in die Hand genommen – mit Daniela. Nora fühlte sich, als hätten sie sich gerade zum zweiten Mal getrennt.
D as Essen mit Tobi und seine Neuigkeiten zogen Nora komplett den Teppich unter den Füßen weg. Ihre Welt wurde grau. Nora trug Trauer. Und sie wollte alleine sein. Sie hatte ihr Telefon ausgestöpselt, ihr Handy ausgemacht und ihren Laptop in die unterste Schublade ihres Sekretärs verbannt. Sie wollte niemanden hören oder sehen. Nur ihren Eltern hatte sie für Samstag abgesagt. »Magen-Darm. Ganz eklige Nummer«, hatte sie erklärt. Und bei Mariano hatte sie sich ebenfalls wegen »übler Magen-Darm-Grippe« abgemeldet. Eine luftige Affäre half ihr jetzt auch nicht weiter. Selbst die Klingel hatte sie ausgeschaltet. Keiner zuhause! Nora has left the building! Wenn sie nicht heulte, als hätte Tobi sie gerade erst verlassen, und zwar nur, weil er Daniela aus Versehen geschwängert hatte und jetzt seine Pflicht erfüllen musste, dann schaute sie DVD s. Sie zog sich all die Filme rein, die sie einst mit Tobi so gerne gesehen hatte: »Dirty Dancing«, »Fackeln im Sturm«, »Herr der Ringe«, »Denn sie wissen nicht, was sie tun«, »It’s My Party«, »Die grüne Meile«, »Braveheart«, »Rocky I-VI«, »Der Pate«, »Lovestory«, »Kill Bill – Vol.1 & 2«, »Breakfast Club«, »St. Elmo’s Fire«. Selbst »Pulp Fiction« und »From Dusk Till Dawn«, die Nora aus tiefstem Herzen verabscheute, sah sie sich an, weil sie zu Tobis Lieblingsfilmen zählten. »Wie ein einziger Tag«, »My Private Idaho« – Nora gab sich das volle Programm. Ansonsten schlief sie und träumte viel und wild: von Tobi und sich, wie sie sich liebten. Von ihrer Hochzeit und von ihren Kindern. Wenn sie etwas brauchte, ging sie runter zum Kiosk – mit fettigen Haaren und im Jogginganzug. Immer demselben. Meist kaufte sie Cola, Kippen und Schokolade. Ihre warmen Mahlzeiten, wenn sie überhaupt welche zu sich nahm, holte sie sich in der Frittenbude auf der Berrenrather Straße. Currywurst, Pommes, Gyros, Pizza – nur Junk Food. Den Lieferservice würde sie ja nicht hören, wegen der abgestellten Klingel. Ansonsten blieb sie im Haus. Die Vorhänge zugezogen, sich labend an ihrem Schmerz. Die Tage zogen an ihr vorüber, und Nora hatte neben dem Gefühl für Hygiene auch jegliches Zeitgefühl verloren. Ihre Augen waren rot geweint und geschwollen,
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