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Noir

Noir

Titel: Noir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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«Business, verstanden?»
    «Verstanden», sagte er, weil ihm die Sprachkenntnisse für eine lässigere Antwort fehlten.
    Seufzend zerknüllte sie den Kassenzettel und warf ihn in den Mülleimer. «Dann weiter einsortieren.»
    Wie ein Roboter, dachte er. Was interessierte es ihn, ob er lebte. Als er mit einem Karton Bleistiftkästen aus dem Lager kam, betrat ein Mädchen den Laden, das übers ganze Gesicht strahlte.
    «Hi!»
    «Luna», fiel es ihm ein.
    «Tagsüber Julia.» Sie lachte. «Ich hab doch gewusst, dass ich dich schon mal gesehen hab. Hier arbeitest du also.»
    «Manche nennen es Arbeit, andere Masochismus.»
    Ihr Lachen kam so unvermittelt und laut, dass er ein wenig an der Echtheit ihrer Belustigung zweifelte. Außerdem war sie nicht zufällig hereingeplatzt. Sie hatte gewusst, dass sie ihn hier finden würde. Er sah es ihr an.
    «Dann sind wir uns bestimmt schon hundertmal über den Weg gelaufen. Ich bin voll oft hier. Ich studier Modedesign, deshalb …»
    «Wow.» Er fürchtete, ironisch zu klingen, obwohl er völlig emotionslos war, doch sie schien sich geschmeichelt zu fühlen und wedelte mit der Hand.
    «Ja, Mode ist mein Ding, wie man sieht. Was studierst du?»
    Er stützte den Karton auf eine Hüfte. «Ich hab erst Psychologie, dann Philosophie, dann Religionswissenschaft und zuletzt Bildende Kunst abgebrochen. Jetzt habe ich meine Berufung als Verkäufer gefunden.» Er beugte sich verschwörerisch zu ihr vor. «Ich hab das Gefühl, dass ich auch das abbrechen werde.»
    «Stimmt, Philip hat’s mir erzählt. Dass du auch Künstler bist wie er.»
    «Nett von ihm, das zu behaupten.» Und nett von ihm, ihr zu sagen, wo er arbeitete.
    «Bist du jetzt einer oder nicht?»
    «Ich zeichne und verdiene damit keinen Cent, wahrscheinlich bin ich also ein Künstler, ja.»
    «Kann man denn mal was von dir sehen?»
    «Also … normalerweise habe ich eine Dauerausstellung im Museum of Modern Art, aber Mädchen sage ich immer, dass sie sich meine Bilder nur bei mir zu Hause ansehen können.» Er sagte das sehr langsam und behielt ihre Reaktion im Auge. Die wie erwartet positiv ausfiel: Sie stützte die Arme in die Seiten und versuchte eine Schnute zu ziehen, um ihr Lächeln zu verbergen. «Du hast mir noch gar nicht geschrieben!»
    Rasch vergewisserte er sich, dass seit ihrer letzten Begegnung nur ein Tag vergangen war. Das Mädchen roch nach Stress.
    « SMS sind doch eine rückständige Kommunikationsart. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass sie Missverständnisse schaffen, weil im normalen Dialog weniger der Inhalt als die Art, wie man etwas sagt, von Bedeutung ist. Bei Kurznachrichten entfallen Betonung und Körpersprache, sodass alles falsch interpretiert werden kann. Darum habe ich dir nicht geschrieben. Aus Prinzip.»
    «Okaaay …» Sie lächelte, doch ihre Augen, die sie offenbar nicht nur zu Anlässen wie letzten Donnerstag schwarz bemalte, maßen ihn mit einer Mischung aus glühender Neugier und Misstrauen. «Dann schreib mir nicht. Ruf mich an!» Sie ging rückwärts, damit er weiterhin ihr Lächeln sehen konnte. Sie hatte schmale Lippen, aber sehr hübsche Zähne und ein paar reizende Sommersprossen auf dem Nasenrücken. Schließlich drehte sie sich um und schlüpfte winkend aus dem Laden.
    Über die Regale hinweg begegnete er Pegelowas eisigem Blick, und ihm wurde bewusst, dass Julia gar nichts gekauft hatte.
     
    Fünf Minuten später sperrte er sich auf der Toilette ein, die vollgestopft war mit Kosmetikartikeln und Schuhen, die Pegelowa ständig wechseln musste, weil alle auf eine andere Art unbequem zu sein schienen, und durchsuchte sein Handy nach Julias Nummer. Er hatte sie nicht gespeichert, doch er fand sie unter den verpassten Anrufen.
    Er schrieb ihr:
Siehst du, wegen dir breche ich meine Prinzipien. Was machst du heute Abend?
    Die Antwort kam prompt:
Heute chillen zu Hause!!! Lust, vorbeizukommen??!!
    Die Nachricht zu lesen war, als hätte sie ihm ins Ohr gekreischt. So viele Satzzeichen – er brachte es nicht einmal über sich, ihr zu antworten.
    Vielleicht hätte er ihr besser nicht geschrieben. Er steckte das Handy ein und wusch sich ohne rechten Grund die Hände. Außerdem schuldete er ihr Geld, hatte er das vergessen? Er fuhr sich mit den noch nassen Händen übers Gesicht und durch die Haare.
    Zwei Tage. Zum Teufel mit Satzzeichen.
     
    Ungewohnte Essensdüfte waberten durch das Treppenhaus, als Nino nach Hause kam. Ihre einzigen Nachbarn waren eine türkische Familie, die so

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