Nora Roberts
von einer Stadt, die man in wenigen Stunden mit dem Flugzeug erreichen kann.«
»Für mich ist New York ebenso weit weg wie der Mond.«
Lachend blickte Brianna über ihre Schultern und sah ihn an. Er war noch hübscher, als er es bereits als Junge gewesen war. Und schon damals hatten sämtliche Frauen im Dorf von seinem Engelsgesicht geschwärmt. Inzwischen jedoch drückten seine lebhaften blauen Augen und sein fröhliches Lächeln neben Sanftmut auch eine unverkennbare Gewitztheit aus.
Das Leben als Farmer tat ihm gut, und im Lauf der Jahre hatte sein Gesicht wie gemeißelte hagere Züge angenommen, von denen noch jede Frau begeistert war. Eine Tatsache, die ihm durchaus gefiel. Sein dichtes schwarzes Haar hatte bisher noch jedem Kamm getrotzt, sein Körper war straff, seine Arme waren muskulös, seine Hüften schmal. Brianna wußte aus Erfahrung, daß er so kräftig wie eins seiner geliebten Pferde, doch zugleich wesentlich sanfter war.
Trotz seiner Kraft und seiner wettergegerbten Züge hatte er etwas Poetisches an sich. Was wohl vor allem an seinen ver träumten Augen lag, dachte sie und wurde von einer Woge der Zuneigung zu ihm erfaßt.
»Warum guckst du mich so an?« Er fuhr sich mit der Hand über das Kinn. »Habe ich irgendwo einen Sahnefleck?«
»Nein, ich dachte nur gerade, was für eine Schande es ist, daß du bisher noch keine Frau gefunden hast, die du mit deinem hübschen Gesicht erfreuen kannst.«
Obwohl er grinste, war ihm anzusehen, daß er verlegen war. »Wie kommt es nur, daß eine Frau, sobald sie heiratet, denkt, daß die Ehe für jeden das Richtige ist?«
»Das liegt daran, daß eine Frau nach der Heirat glücklich ist.« Sie blickte auf Kayla, die fröhlich gurgelnd in ihrer Wippe saß. »Findest du nicht auch, daß sie Gray immer ähnlicher wird?«
»Sie ist dir wie aus dem Gesicht geschnitten. Nicht wahr, Kayla-Schatz?« Er beugte sich hinab und kitzelte das Baby unter dem Kinn. »Was willst du in bezug auf deine Mutter unternehmen, Brie?«
»Im Augenblick nichts.« Am liebsten dachte sie gar nicht darüber nach. »Natürlich muß ich es ihr irgendwann erzählen, aber ich möchte Shannon Zeit geben, sich ein wenig einzugewöhnen, ehe der Sturm losbricht.«
»Ich wette, es wird ein wahrer Wirbelsturm. Bist du sicher, daß sie bisher nichts von dieser Sache weiß? Daß sie keine Ahnung hat, daß es eine andere Frau und mit dieser anderen Frau eine Tochter gab?«
»So sicher, wie ich nur sein kann.« Seufzend wandte sich Brianna wieder ihren Törtchen zu. »Du weißt, wie die Dinge zwischen ihnen standen. Wenn Mutter etwas davon gewußt hätte, hätte sie ihm die Hölle heiß gemacht.«
»Da hast du wohl recht.« Murphy strich ihr über die Wange und zwang sie sanft, ihn wieder anzusehen. »Aber trag diesen Kampf nicht alleine aus. Du weißt, wir sind auch noch da.«
»Ich weiß. Aber trotzdem habe ich Angst, Murphy. Die Dinge zwischen Mutter und mir stehen augenblicklich nicht gerade zum besten, und zwischen Maggie und ihr gab es ja schon immer jede Menge Streit. Ich weiß nicht, um wieviel schlimmer diese Sache es noch machen wird. Aber wir hatten keine Wahl. Dad hätte gewollt, daß sie kommt, damit sie ihre Familie kennenlernen kann.«
»Dann geh die Sache am besten so gelassen wie möglich an.« Seine Tasse in der einen Hand, strich er ihr mit der anderen zärtlich übers Haar und drückte auf ihre Wange einen sanften Kuß.
Dann wurde mit einem Mal seine Welt auf den Kopf gestellt.
Eine Vision stand in der Tür und sah ihn aus kühlen, prachtvollen grünen Augen an. Ihre Haut schien aus Alabaster zu sein, wie es immer in den Büchern stand, und wirkte so zart wie frische Milch. Ihr Gesicht mit dem nach oben gereckten Kinn war von schimmerndem Haar umrahmt.
Die Feenkönigin war alles, was er denken konnte. Und schon hatte sie ihn mit ihrem Bann belegt.
»Oh, Shannon.« Brianna errötete, als sie ihre Halbschwester sah. Wieviel hatte sie wohl mit angehört, überlegte sie. Und wie ginge sie selbst am besten damit um? »Der Tee ist beinahe fertig. Ich dachte, wir trinken ihn hier. Den Gästen serviere ich dann im Wohnzimmer.«
»Kein Problem.« Shannon hatte genug gehört und brauchte Zeit, um sich darüber klarzuwerden, wie diese Situation am besten zu meistern sei. Im Augenblick jedoch galt ihre Aufmerksamkeit dem Mann, der sie mit offenem Mund musterte, als hätte er vor ihr noch nie eine Frau gesehen.
»Shannon Bodine, dies ist unser guter Freund und Nachbar Murphy
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