Nora Roberts
Stiefmütterchenbeets. Sie setzte sich auf einen der Holzstühle, stellte fest, daß er so bequem war, wie er aussah, und beschloß, einen Augenblick lang dächte sie weder an Brianna noch an Maggie noch an den Haushalt, dessen zeitweiliges Mitglied sie war. Nur einen kurzen Moment lang dachte sie gar nichts und genoß einfach die Stille, die sie umgab.
Die Luft war warm und von einem angenehmen Duft erfüllt. In einem der Fenster klimperte ein kupfernes Feenmobile, und aus der Ferne drang das Muhen einer Kuh an ihr Ohr – ein Geräusch, das ihr ebenso fremd war wie Legenden von Kobolden und Todesfeen.
Murphys Farm, dachte sie. Sie hoffte um seinetwillen, daß er ein besserer Farmer als Gesellschafter war.
Eine Woge der Müdigkeit rollte über sie hinweg, der Jetlag, den sie seit Stunden unterdrückt hatte. Jetzt allerdings hüllte er sie ein wie ein warmer Kokon, der die zahllosen Ängste, die sie empfand, verschwimmen ließ.
Sie träumte von einem Mann auf einem weißen Pferd. Sein Haar war schwarz und wurde ebenso wie sein dunkler Umhang vom Wind und dem Regen, der sich tosend aus einem eisengrauen Himmel über ihn ergoß, nach hinten gepeitscht.
Blitze schossen wie Speere auf ihn herab, erhellten sein Gesicht, hoben die hohen keltischen Wangenknochen und die kobaltblauen Augen der dunkelhaarigen Iren deutlich hervor. Am Kragen seines Umhangs war eine kupferne Brosche festgemacht, zwischen deren verschlungenen Rändern der hoch erhobene Kopf eines Hengstes zu sehen war.
Das Pferd, auf dem der Reiter saß, schlug mit den Vorderbeinen in die wirbelnde Luft, ehe es mit donnernden Hufen über den weichen Grasboden brach. Sie kamen direkt auf sie zugeschossen, der Mann und das Tier, beide von gleicher Gefährlichkeit, beide von gleicher Pracht. Der Griff eines Schwertes blitzte auf, das in einer schlammbespritzten Scheide saß.
Ihr Herz antwortete dem Donnergrollen, und der Regen schlug ihr eisig ins Gesicht. Doch sie verspürte keine Furcht. Mit hoch erhobenem Kopf beobachtete sie, wie das Paar immer näher kam, und in ihren gegen den Regen zusammengekniffenen grünen Augen blitzte freudiges Erkennen auf.
In einer wahren Schlammfontäne kam das Pferd nur wenige Zentimeter vor ihr zum Stehen, und der Reiter blickte triumphierend und gleichzeitig verlangend auf sie herab.
»Du bist also zurückgekommen«, hörte sie sich, wobei sie mit einer Stimme sprach, die ihr fremd erschien.
Von der Fremdheit und gleichzeitigen Klarheit des Traums erschüttert und verwirrt, schreckte Shannon aus dem Schlaf. Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und fühlte, daß es kein Traum, sondern eher eine Erinnerung gewesen war.
»Ich bitte um Entschuldigung.« Murphy trat aus den länger werdenden Schatten heraus. »Ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich dachte, Sie machen ein kleines Nickerchen.«
»Sie haben mich also schon wieder angestarrt, Mr. Muldoon«, überspielte sie ihre Verlegenheit.
»Nein – das heißt, ich ...« Er stieß einen frustrierten Seufzer aus. Hatte er sich nicht geschworen, daß sein Benehmen während des nachmittäglichen Tees ein einmaliger Ausrutscher gewesen war? Verdammt, aber schon wieder führte er sich in ihrer Gegenwart auf wie ein vollkommener Idiot. »Ich wollte Sie nicht stören«, setzte er nochmals an. »Ich dachte, Sie wären aufgewacht und hätten etwas zu mir gesagt, aber das haben Sie wohl nicht.« Er versuchte es mit einem Lächeln, von dem normalerweise jede Frau bezaubert war. »Ehrlich gesagt, Miss Bodine, bin ich zurückgekommen, um mich bei Ihnen zu entschuldigen, weil ich Sie während des Tees derart unverhohlen angestarrt habe. Ich fürchte, daß ich recht unhöflich war.«
»In Ordnung. Vergessen Sie's.« Und verschwinden Sie, dachte sie erbost.
»Ich denke, daß es an Ihren Augen liegt.« Er wußte, daß das nicht alles war. Als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, hatte er bereits genau gewußt, was es, oder besser, was sie war. Die Frau, auf die er gewartet hatte, seit er ein Mann geworden war.
Sie stieß ein ungeduldiges Schnauben aus. »An meinen Augen?«
»Sie haben Feenaugen. Klar wie Wasser, grün wie Moos und voller Magie.«
Jetzt klang er alles andere als trottelig, dachte sie erstaunt. Seine Stimme hatte einen melodischen Klang, der eine Frau alles andere vergessen ließ. »Das ist interessant, Mr. Muldoon ...«
»Murphy, falls es Ihnen recht ist. Schließlich sind Sie ja sozusagen meine Nachbarin.«
»Nein, das bin ich nicht. Aber Murphy ist okay. Wenn
Weitere Kostenlose Bücher