Nora Roberts
Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen ...« Doch statt wie beabsichtigt aufzustehen, fuhr sie mit einem unterdrückten Schrei zurück. Etwas Großes, Geschmeidiges kam knurrend aus der Dunkelheit auf sie zugerannt.
»Con.« Es bedurfte nur dieser einen Silbe, damit der Hund schwanzwedelnd stehenblieb. »Er wollte nicht auf Sie losgehen.« Murphy legte dem Vierbeiner eine Hand auf den Kopf. »Er hat sein abendliches Läufchen gemacht, und manchmal, wenn er mich trifft, spielt er mit mir. Er hat nicht geknurrt, sondern geredet.«
»Geredet.« Mit geschlossenen Augen wartete sie darauf, daß sich ihr Herzschlag wieder verlangsamte. »Ein sprechender Hund hat mir gerade noch gefehlt.« Dann kam Con zu ihr getrottet, legte ihr den Kopf in den SchoB und sah sie aus großen Augen an. Auf diese Weise hätte er selbst einen Eisberg zum Schmelzen gebracht. »So, ich nehme an, daß du dich bei mir für den Schrecken, den du mir eingejagt hast, entschuldigen willst.« Sie hob ihren Kopf und sah Murphy an. »Sie und der Hund sind vielleicht ein Paar.«
»Ich nehme an, daß wir beide hin und wieder etwas tolpatschig sind.« Mit einer geschmeidigen Bewegung, die seine Worte Lügen strafte, zog er einen Strauß Wildblumen hinter seinem Rücken hervor. »Willkommen in der Grafschaft Clare, Shannon Bodine. Möge Ihr Aufenthalt so süß und farbenfroh wie die Blüten und zugleich von längerer Dauer sein.«
Überrascht und gegen ihren Willen gerührt, nahm sie ihm die Blumen ab. »Ich dachte bereits heute nachmittag, daß Sie seltsam sind, Murphy«, murmelte sie. »Und offenbar hatte ich recht.« Aber als sie aufstand, umspielte ein Lächeln ihren Mund. »Vielen Dank.«
»Das ist etwas, auf das ich mich schon jetzt freue«, sagte er, und als sie fragend die Brauen nach oben zog, fügte er hinzu: »Ihr Lächeln. Es lohnt sich, darauf zu warten, Sie noch einmal lächeln zu sehen. Gute Nacht, Shannon. Schlafen Sie gut.«
Mit diesen Worten ging er davon, und bereits nach wenigen Schritten war er nur noch als Schatten zu sehen.
Als der Hund ihm folgen wollte, sagte er etwas, das Con zu Shannon zurückkehren ließ, und während der Duft der Blüten, die sie in den Händen hielt, ihre Sinne betörte, verschmolz der Mann namens Murphy mit der Dunkelheit.
»Soviel zu den ersten Eindrücken«, sagte Shannon zu Con und schüttelte den Kopf. »Ich denke, es ist an der Zeit, ins Bett zu gehen. Offenbar bin ich müder, als ich dachte.«
6. Kapitel
Stürme und weiße Pferde. Unerträglich schöne Männer und ein Kreis aus Stein.
Von Träumen verfolgt, verbrachte Shannon eine alles andere als ruhige Nacht.
Am frühen Morgen fuhr sie frierend aus dem Schlaf. Was seltsam war, dachte sie, denn die Kohlen in dem kleinen Kamin am anderen Ende des Raums glühten rot, und sie war bis zum Kinn in eine dicke Daunendecke gehüllt. Trotzdem war ihre Haut so eisig, daß sie zitterte.
Und noch seltsamer war, daß sie nicht nur fror. Ehe sie ihr Gesicht betastete, hätte sie geschworen, daß es naß war – wie nach einem heftigen Regenguß.
Sie setzte sich auf und fuhr sich mit den Händen durchs Haar. Nie zuvor hatte sie derart klare Träume gehabt, und sie war sich nicht sicher, ob ihr diese Klarheit gefiel.
Aber ungeachtet der Träume und der ruhelosen Nacht – nun war sie wach, und aus Erfahrung wußte sie, daß es sinnlos wäre, sich noch einmal hinzulegen, denn sie würde nicht noch einmal einschlafen. In New York hätte sie dieser Gedanke nicht so frustriert. Dort hatte sie immer Dutzende von Dingen zu erledigen, und normalerweise sprang sie früh aus dem Bett und machte sich schwungvoll ans Werk.
Es gab immer Finanzdinge, die es zu regeln galt, Papierkram, der erledigt werden mußte, oder einfache Hausarbeit, die sie besser hinter sich brachte, bevor sie das Haus verließ. Wären diese Dinge getan, sähe sie in ihrem elektronischen Terminkalender nach, welche Verabredungen es einzuhalten, welche Aufgaben es zu erfüllen galt – und welches gesellschaftliche Ereignis für den Abend vorgesehen war. Abschließend sähe sie sich den Wetterbericht und die Nachrichten im Frühstücksfernsehen an, nähme, je nach Wochentag, ihre Sporttasche und machte sich auf den Weg in ihr sechs Blocks entfernt liegendes Büro.
Das befriedigende, durchorganisierte Leben einer jungen Frau, die auf dem Weg nach oben war. Genau dieser Routine war sie über fünf Jahre lang täglich gefolgt.
Aber hier ... Seufzend blickte sie durch das Fenster zum immer noch
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