Nora Roberts
viel mehr
Beachtung schenkend als Jessica. »Du machst dir viel zu viele Sorgen, Darling.«
»Du warst
letzte Woche ja nicht hier.« Sie zupfte ihren Toast in kleine Stückchen.
Wortlos
reichte Slade ihr die Butter. Jessica sah auf ihren Toast und bemerkte erst
jetzt, was sie damit angerichtet hatte. Dann griff sie nach ihrem Weinglas.
»Jedenfalls
war er fit genug, Mrs. Doningan die Connecticut-Truhe zu verkaufen«, bemerkte
Michael, dem die stumme Konversation nicht entgangen war.
»David hat
Mrs. Donnigan etwas verkauft?« Die anfängliche Überraschung wandelte sich in
Heiterkeit. »Um zu verstehen, was das heisst, müsstest du die Dame kennen,
Slade. Sie ist eine waschechte Neuengländerin, die jeden Cent zehn Mal umdreht,
bevor sie sich davon trennt. Michael kann sie zum Kaufen
animieren, ich ganz selten einmal, aber David ...« Sie lächelte. »Wie hat er
das Kunststück denn fertig gebracht?«
»Indem er
ihr das Stück partout nicht verkaufen wollte. Als ich dazukam, drängte er sie
gerade zu der ZirbelholzKommode und erklärte ihr, er habe die Connecticut
bereits einem anderen Kunden versprochen.«
Jessica
ließ ein perlendes Lachen hören. »Sieht so aus, als hätte unser Bursche was
gelernt. Das nächste Mal werde ich mich erweichen lassen und ihn mit dir nach
Europa fahren lassen.«
Michael
starrte kurzzeitig auf seinen Teller und spießte dann grimmig eine Garnele auf.
»Wenn du das möchtest.«
Jessicas
Notlage war offensichtlich. Ehe sie ihre Bemerkung noch irgendwie revidieren
konnte, half Slade ihr aus der Patsche, indem er fragte, was denn eine
Connecticut-Truhe sei. Jessica warf ihm rasch einen dankbaren Blick zu und
überließ Michael dann die Erklärung.
Warum habe
ich das nur gesagt?, schalt sie sich. Wie konnte ich so unsensibel sein und
vergessen, dass er mich gebeten hatte, ihn das nächste Mal nach Übersee zu
begleiten? Mit einem stummen Seufzer stocherte sie weiter in ihrem Essen herum.
Irgendwie war sie der Situation nicht sonderlich gewachsen, dachte sie. Nein,
sie war ihr überhaupt nicht gewachsen.
Wie
unterschiedlich sie sind, stellte sie plötzlich fest, als sie die beiden bei
ihrer lockeren Unterhaltung beobachtete. Michael mit seinen feinen Gesten,
kultiviert in seiner Sprache sowie seinen Umgangsformen, und stets wie aus dem
Ei gepellt. Jessica überlegte, dass sie ihn nie in einem salopperen Anzug als
in Polohemd und Golfhose gesehen hatte. Er besaß weltmännischen Scharm und eine
erotische Ausstrahlung, die man als elegant bezeichnen könnte.
Slade
hingegen gestikulierte so gut wie nie. Vielleicht war ihm bewusst, dass die
Körpersprache die Gedanken eines Menschen offenbaren konnte. Ja, er verstand es
meisterhaft, seine Gestik auf ein Minimum zu beschränken. Und obwohl er
überwiegend Jeans und Pullover trug, würde sie ihn nicht als ungepflegt
bezeichnen. Er war auch nicht scharmant, son dem entwaffnend, entschied sie.
Und was seine erotische Ausstrahlung betraf, so war diese alles andere als
elegant. Sie war animalisch.
Slade
dachte sich immer neue Fragen über Antiquitäten aus, obwohl ihn im Augenblick
nichts weniger interessierte als wurmstichige Möbel. Aber er gab Jessica
dadurch Gelegenheit, ihre Fassung wieder zu gewinnen, die sie beinahe völlig
verloren hatte. Und er konnte sich dabei eine konkretere Meinung über Michael
bilden. Er machte einen völlig harmlosen Eindruck, stellte Slade fest. Ein
hübscher Bursche mit genügend Grips, um es in seinem Beruf zu etwas zu bringen.
Oder mit genügend Grips, um die Karriereleiter als Schmuggler emporzusteigen.
Nicht bis ganz oben, wusste Slade instinktiv. Dazu fehlte es ihm an Mut.
Er war der
Typ Mann, den er sich gut an Jessicas Seite hätte vorstellen können. Gepflegt
und intelligent. Und sehr attraktiv, wenn man den eleganten Typ bevorzugte.
Was Jessica offenbar nicht tat. Sie waren noch nicht zusammen im Bett gelandet,
sinnierte Slade, während er mit einem Ohr Michaels Ausführungen lauschte.
Welcher Mann, fragte er sich, konnte Tag für Tag mit dieser Frau
zusammenarbeiten und nicht mit ihr schlafen – ohne verrückt zu werden? Michael
hatte es geschafft, sich beinahe drei ganze Jahre zurückzuhalten. Er, dachte
Slade, hätte das nicht mal drei Tage geschafft. Entweder war Michael Adams
unsterblich in Jessica verliebt, oder schlauer, als er aussah. Die Blicke, mit
denen Michael gelegentlich Jessica streifte, erregten Slades Mitgefühl.
Unsterblich verliebt oder nicht, gleichgültig ließ sie ihn
Weitere Kostenlose Bücher