Nora Roberts
Salon betrat, blieb Slade in der Tür stehen und beobachtete Jessica. Immer
in Bewegung, dachte er, doch diesmal trieb sie ihre Nervosität. Sie trug ein
sehr schlichtes, sehr elegantes schwarzes Kleid und hatte sich das Haar zu einem
französischen Zopf geflochten, der auf ihrer rechten Schulter lag. Während er
sie betrachtete, spürte Slade einen kurzen Anflug von Mitleid für Michael. Es
musste schwer sein, eine Frau wie Jessica zu lieben und zu verlieren. Wenn
Michael nicht ein totaler Idiot war, würde ein einziger Blick in ihr Gesicht
ihm bereits ihre Antwort entgegenschreien. Sie bräuchte nicht einmal den Mund
aufzumachen.
»Er wird es
überleben, Jess.« Jessica wirbelte herum. Slade schlenderte auf den Barschrank
zu. »Es gibt noch andere Frauen auf dieser Welt.« Er gab sich absichtlich so
lässig, so zynisch, weil er ihre Reaktion voraussah. Obwohl sie ihm den Rücken
zugekehrt hatte, glaubte er Wut in ihren Augen funkeln zu sehen.
»Ich hoffe,
du fällst eines Tages einmal so richtig auf die Schnauze, Slade«, zischte sie.
»Und ich hoffe, sie zeigt dir dann die lange Nase.«
Er schenkte
sich einen Scotch ein. »Keine Chance«, wehrte er leichthin ab. »Für dich auch
einen?«
»Ich nehme
den.« Sie stolzierte an die Bar, schnappte sich sein Glas und leerte es zur
Hälfte.
»Na,
trinken wir uns Mut an?«, meinte er, ein spöttisches Grinsen unterdrückend.
Sie
funkelte ihn grimmig an, während der Scotch in ihrer Kehle brannte. »Du spielst
wohl mit Absicht das Ekel, wie?«
»Richtig. Und, fühlst du dich dabei nicht
besser?«
Mit einem
hilflosen Lachen drückte sie ihm sein Glas in die Hand. »Du bist einer von der
harten Sorte, Slade.«
»Und du
bist eine wunderschöne Frau, Jessica.«
Diese Worte
brachten Jessica total aus dem Gleichgewicht. Sie hatte sie schon oft gehört,
aber noch nie war dabei ihr Blut in Wallungen geraten. Andererseits kamen einem
Mann wie Slade Komplimente nicht so leicht über die Lippen, dachte sie. Und
irgendwie hatte sie den Eindruck, dass er damit nicht nur ihr Äußeres ansprach.
Nein, er war ein Mann, der hinter das blickte, was man von außen sah, und
hinein in Bereiche, die man nur fühlen konnte.
Ihre Blicke
trafen sich und hielten sich einen Moment zu lange. Jessica hatte das Gefühl,
dass sie in diesem Augenblick näher daran war, etwas ganz Entscheidendes an ihn
zu verlieren als noch am Morgen am Strand.
»Du musst
ein sehr guter Schriftsteller sein«, murmelte sie und drehte sich um, um sich
ein Glas Wermut einzuschenken. »Warum?«
»Du bist
sehr sparsam mit Worten, und dein Gefühl für das richtige Timing ist von einer
schlafwandlerischen Sicherheit.« Da sie mit dem Rücken zu ihm stand, konnte sie
es sich erlauben, sich nervös die Lippen zu befeuchten. Die Uhr auf dem
Kaminsims läutete melodiös zur vollen Stunde. »Ich nehme nicht an, dass du
gewillt bist, mir eine Rede aufzusetzen, ehe Michael kommt.«
»Nein, da
passe ich, danke.«
»Slade ...«
Nach einem kurzen Zögern drehte Jessica sich zu ihm um. »Ich hätte dir das
nicht alles erzählen sollen, heute Morgen am Strand. Es ist Michael gegenüber
nicht fair, dass du über alles Bescheid weißt, und es war nicht fair dir
gegenüber, dass ich dir meine ganze Lebensgeschichte aufgetischt habe. Dir
kann man leicht sein Herz ausschütten, weil du ein bisschen zu genau zuhörst.«
»Das gehört
zu meinem Job«, murmelte er mehr zu sich selbst und dachte dabei an die endlose
Folge von Gesprächen mit Verdächtigen, Zeugen und Opfern, die er schon geführt
hatte.
»Ich
versuche nur, mich zu bedanken«, sagte Jessica knapp. »Kannst du meine
Dankesbezeugung nicht etwas gnädiger entgegennehmen?«
»Warte
damit, bis ich wirklich eine Großtat vollbracht habe«, schoss er zurück.
»Lieber
ersticke ich, bevor ich dir noch einmal danke.« Sie goss gerade einen zweiten
Schuss Wermut in ihr Glas, als es klingelte.
Keiner der
beiden Männer legte gesteigerten Wert auf die Anwesenheit des anderen, aber sie
machten gute Miene zum bösen Spiel. Die Tischunterhaltung bewegte sich langsam
auf das Thema Geschäft zu.
»Ich bin
froh, dass du für ein paar Stunden in den Laden gegangen bist, Michael.«
Jessica stocherte in den Schrimps Dijon herum, ohne viel zu essen. »Ich glaube
nicht, dass David schon fit genug ist, einen ganzen Tag durchzustehen.«
»Ach, der
ist schon wieder auf der Höhe. Und Montags ist es ohnehin eher ruhiger.« Er
schwenkte den Wein in seinem Glas herum, seinem Essen nicht
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