Nordfeuer - Kriminalroman
Vorstellung, für 14 Tage keinen festen Boden unter den Füßen
zu haben, nicht.
Zum Trost hatte er daher für Marlene
in einer Goldschmiede in Husum einen Ring aufarbeiten lassen. Das Schmuckstück hatte
Toms Mutter gehört, die bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Der Ring bedeutete
ihm sehr viel, denn er war alles, was ihm von seiner Mutter geblieben war.
Als sie starb war er noch ein kleiner
Junge gewesen. Er konnte sich kaum an sie erinnern, nur wenige Momente waren in
seinem Gedächtnis haften geblieben.
Der Ring war ein solcher Augenblick.
Es war ein breiter Goldring mit einem traumhaft schönen Bernstein. Er hatte damals
geglaubt, der Stein sei aus Honig und immer wieder versucht, davon zu naschen. Wenn
er sich die Bilder in Erinnerung rief, glaubte er sogar, das helle Lachen seiner
Mutter zu hören, die sich über seine kindliche Vorstellung amüsierte.
Marlene würde der Ring gefallen.
Sie liebte Bernsteinschmuck, und dass Tom ihr das einzige Erinnerungsstück an seine
Mutter anvertraute, würde sie überglücklich machen. Sie hatten nicht oft über Toms
Eltern gesprochen. Es schmerzte ihn, sie so früh verloren und niemals eine richtige
Familie gehabt zu haben. Marlene hatte ihn zwar oft nach seinen Eltern und der Zeit
bei seinem Großvater, der ihn nach dem Unfall aufgenommen hatte, gefragt, aber er
sprach nicht gerne darüber und hatte ihr immer nur ein paar wenige Dinge erzählt.
Den Ring würde sie als absoluten
Liebesbeweis verstehen und so war er auch gemeint.
Er parkte am Schlosspark. Von dort
aus war es zwar etwas weiter zur Goldschmiede, aber er wollte zuvor noch in der
Buchhandlung eine Bestellung abholen.
Als er die Straße überquerte, um
zum Schlossgang zu gelangen, sah er plötzlich Holger Leuthäuser vor sich. Normalerweise
hätte er den jungen Mann von hinten nicht erkannt, aber aufgrund seiner behäbigen
Gangart war er ihm sofort aufgefallen. So ein Gipsverband schränkte einen in seinen
Bewegungen nun einmal sehr ein.
Tom überlegte, ob er zu dem Referendar
der Risumer Grundschule aufschließen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Der
Mann war in Bezug auf die Brände und den Mord an der Bauerntochter äußerst verdächtig.
Die Gipspackung, die Haie bei Holger Leuthäuser in der Wohnung gefunden hatte, ließ
immerhin vermuten, dass der angehende Lehrer den Verband selbst angelegt hatte,
um etwaige Brandverletzungen zu verbergen.
Mal sehen, wo der hinwollte. Angeblich
war er ja noch krankgeschrieben, da würde er sich wohl kaum mit Freunden zum Kaffeetrinken
verabredet haben, oder?
Er ließ sich leicht zurückfallen,
obwohl kaum Gefahr bestand, Holger Leuthäuser könne ihn bemerken. So ungelenk wie
der war, würde er sich sicherlich nicht umdrehen.
Am Ende des Schlossgangs bog der
junge Mann zunächst nach rechts ab, wandte sich dann aber abrupt zur Seite und überquerte
die Straße. Tom folgte ihm über den Marktplatz.
Die viel zitierte graue Stadt zeigte
sich heute von ihrer bunten Seite. Das Wetter war traumhaft schön. Die Sonne schien,
nur wenige Wolken trieben hier und da müßig an einem sonst strahlend blauen Himmel
dahin. Um den Brunnen mit der Tine scharten sich dutzende von Menschen, unterhielten
sich, aßen Eis oder genossen einfach nur den Tag.
Doch Holger Leuthäuser hatte dafür
keinen Blick übrig. Zielstrebig steuerte er die Apotheke auf der anderen Seite des
Platzes an.
Durch die Scheibe beobachtete Tom,
wie der junge Mann an den Verkaufstresen trat. Er überlegte nur kurz, ehe er zum
Eingang ging und die Tür öffnete. Eine kleine Glocke über der Tür kündigte seinen
Besuch an, doch weder Holger Leuthäuser noch die Dame hinter dem Tresen beachteten
ihn. Tom tat, als interessiere er sich für einen Sonnenschutz und ließ seinen Blick
über ein Regal mit verschiedenen Cremes wandern. Außer ihm und Holger Leuthäuser
waren keine anderen Kunden im Raum. Daher konnte er gut verstehen, worüber sich
der angehende Lehrer mit der Apothekerin unterhielt.
»Sie können es hiermit versuchen«,
riet die Dame im weißen Kittel und hielt eine rot-weiße Verpackung hoch. »Wenn die
Wunden allerdings schlimmer sind, sollten Sie vorher lieber einen Arzt aufsuchen.«
»Nein, nein«, Holger Leuthäuser
schüttelte den Kopf. »Da war ich schon.« Er griff nach der Packung und studierte
die Aufschrift.
»Und die hilft auch bei Brandwunden?«
Die Apothekerin nickte. »Oberflächliche
Wunden und Verbrennungen.«
Holger Leuthäuser fischte umständlich
seine
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