Nordfeuer - Kriminalroman
wie gewohnt um sechs auf. Und acht
Uhr war dann für ihn schon eher spät. Für gewöhnlich war er bereits um sieben bei
der Arbeit. Selten später. So hatte man wenigstens etwas vom Tag, denn wer früh
mit der Arbeit begann, konnte auch früh wieder Feierabend machen.
Um sich die Zeit zu vertreiben,
kaufte er sich ein belegtes Brötchen und ein Plunderteilchen. Dazu noch einen weiteren
Kaffee, in den er diesmal allerdings reichlich Milch goss. Er war nicht mehr der
Jüngste und vertrug kaum Koffein. Früher konnte er zu jeder Nacht- und Tageszeit
Kaffee trinken, aber das war schon mehr als zwanzig Jahre her. Er wurde halt älter.
In weniger als sechs Jahren würde er schon in Rente gehen. Wie schnell die Zeit
doch vergangen ist, dachte er, während er gedankenverloren aus dem Fenster starrte.
»Moin, Haie!«
Christian Brodersen betrat den Bäckerladen.
Nachdem sie gestern vor der Kirche auseinander gegangen waren, hatten sie nicht
wieder miteinander gesprochen.
»Schöne Rede, die der Pastor für
die Katrin gehalten hat, nä?«
Haie nickte. Der Gottesdienst, oder
zumindest das, was er davon mitbekommen hatte, während er neugierig die Trauergäste
beobachtete, war wirklich berührend gewesen.
Und das war nicht leicht unter diesen
Umständen. Immerhin hatte sich der Mord an der Tochter des reichsten Bauern im Dorf
inzwischen herumgesprochen, und es gab die wildesten Spekulationen über mögliche
Motive. Was hatte sie überhaupt in der Schule zu suchen gehabt?
»Ihren Bruder hatte ich ja auch
lange nicht gesehen.« Christian Brodersen hatte sich am Tresen ebenfalls einen Becher
Kaffee bestellt und trat nun neben Haie. »Dass der sich überhaupt hat blicken lassen,
der feine Herr Geschäftsmann.«
Haie zog fragend die Augenbraue
hoch. Er hatte nicht besonders viel zu tun mit den Martensens. Erk und Katrin kannte
er eigentlich nur aus der Zeit, in der sie die Risumer Grundschule besucht hatten.
Er war bereits seit etlichen Jahren als Hausmeister an der Schule und kannte daher
die meisten Kinder der Dorfbewohner.
»Wieso, was macht Erk denn jetzt?«
»Hat ’nen Luxusladen in Hamburg
aufgemacht. Seitdem spielt der sich auf, als sei er etwas Besseres.«
Das war Haie gestern gar nicht aufgefallen.
Aber besonders geachtet hatte er auf die Familie sowieso nicht. Er verdächtigte
ebenso wie Thamsen eine der zahlreichen Männerbekanntschaften von Katrin und hatte
daher die anwesenden Trauergäste nach potenziellen Kandidaten abgesucht. Ihm war
nur der Porsche mit Hamburger Kennzeichen ins Auge gefallen, als er am Parkplatz
vorbeigeradelt war. Kurz hatte er sich gefragt, wem dieser exklusive Sportwagen
wohl gehören mochte. Auf Erk Martensen hätte er allerdings nicht getippt.
»Dann scheint das doch gut zu laufen
bei ihm«, schloss er bei dem Gedanken an den Porsche.
»Na, Fritz hat ihm doch bestimmt
unter die Arme gegriffen. Kein Wunder, wenn die Katrin eifersüchtig war.«
»Wie?«
»Na, wärst
du gut auf deinen Bruder zu sprechen, wenn der alles in den Arsch geblasen bekäme?«
Christian Brodersen ging zurück zum Tresen, auf dem Milch und Zucker standen und
süßte seinen Kaffee reichlich. Haie wartete gespannt, bis er wieder an den Tisch
trat.
»Und woher
weißt du das so genau? Ich meine, das mit dem Geld und dem Streit zwischen Katrin
und Erk?«
Eigentlich hatte Christian Brodersen
den Anschein erweckt, als sei er stolz, über solch exklusive Informationen zu verfügen.
Nun allerdings druckste er bei der Beantwortung der Frage rum.
»Von minen Sohn.«
»Von Ingo?« Haie ahnte, der junge
Mann hatte wohl auch zu dem Bekanntenkreis von Katrin Martensen gehört.
»Hm.« Christian Brodersen nippte
an seinem Kaffee.
»Ja, und was genau hat Ingo erzählt?«
»Eben genau das. Fritz hat dem Erk
wohl reichlich Geld gegeben, die Katrin aber immer kurz gehalten. Deshalb hatten
sich die beiden wohl ständig in der Wolle.«
»Meinst du denn wirklich, Holger Leuthäuser könnte die Katrin umgebracht
haben?«, fragte Marlene und kuschelte sich etwas enger an Tom.
Nach dem Essen mit Thamsen hatten
sie spontan beschlossen, einen Stadtbummel durch Tondern zu machen. Irgendwie waren
die letzten Tage derart hektisch gewesen und sie hatten wenig Zeit füreinander gehabt.
Ein Sparziergang in der dänischen Kleinstadt tat ihnen sicherlich gut. Außerdem
hatte Marlene ihrer Mutter von der alten Apotheke vorgeschwärmt, in der es Kerzen
und anderes Kunsthandwerk zu kaufen gab. Gesine Liebig war sofort begeistert
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