Nordfeuer - Kriminalroman
Trotz des warmen Wetters trug er einen schwarzen langärmeligen
Rollkragenpullover, der seine bleiche Gesichtsfarbe noch stärker betonte. Seine
Augen waren klar und wachsam. Mit einem schiefen Lächeln im Gesicht sah er sie an.
»Guten Tag.
Wie kann ich Ihnen helfen?« Er trat hinter dem Tresen hervor und machte einige Schritte
auf sie zu. Haie konnte nicht umhin, diesen seltsamen Gang des Verkäufers argwöhnisch
zu begutachten. Es wirkte für ihn, als habe der junge Mann die Hosen voll. Oder
musste er nur dringend auf die Toilette?
»Moin«, erwiderte Thamsen und kam
gleich zur Sache.
»Ist der Geschäftsführer da?«
Das Lächeln erstarb auf dem Gesicht
des Verkäufers. Vermutlich befürchtete er eine Beschwerde.
»Einen Moment bitte.« Er drehte
sich um und trippelte davon. Auch von hinten wirkte sein Gang lächerlich.
»Komischer Typ«, flüsterte Haie
Thamsen zu, der sich ungeniert in dem Laden umschaute. Neben einigen ausgefallenen
Kleidungsstücken wurden auch exklusive Einrichtungsgegenstände angeboten. Der Kommissar
betrachtete eingehend eine Skulptur aus Holz und fragte sich, wer sich wohl so etwas
in seine Wohnung stellte.
»Bitte, nicht anfassen.« Erk Martensen
trat aus dem Hinterraum, in dem zuvor der Verkäufer verschwunden war und sah gerade
noch, wie Thamsen seine Hand ausstreckte, um das hochpolierte Holz zu berühren.
Der wich wie ein kleines verschrecktes
Kind zurück und drehte sich um.
»Kommissar Thamsen«, bemerkte Erk
Martensen erstaunt, als er ihn erkannte. »Was machen Sie denn hier?«
»Ich muss Ihnen ein paar Fragen
stellen.«
»Und da nehmen Sie extra den langen
Weg in Kauf? Sie hätten mich doch anrufen können.«
Das stimmte allerdings. Aber Thamsen
hatte ja erst heute von den Streitereien der Geschwister erfahren und außerdem interessierte
es ihn, wie der Bruder von Katrin Martensen auf die Aussagen des Dorfbewohners reagierte.
»Ich war sowieso gerade in Hamburg.
Mit meinem Freund.« Er deutete auf Haie.
»Moin, Erk«, grüßte dieser ihn und
trat neben Thamsen.
»Ja, und was wollten Sie mich fragen?
Sicher geht es doch um diese Typen von Katrin, oder?«
Es befand sich zwar kein Kunde im
Laden, aber Thamsen fand es unpassend, als Geschäftsführer derlei Dinge vor einem
Angestellten zu besprechen. Er fragte sich, warum Erk Martensen sie nicht in ein
Büro oder zumindest einen anderen Raum bat.
»Nicht wirklich«, druckste er daher
herum und blickte auf den Angestellten. Erk Martensen verstand.
»Sie können ruhig Ihre Fragen stellen.
Herr Böhme arbeitet nicht nur hier. Wir sind auch gut befreundet.«
Der junge Mann nickte eifrig.
»Ja, wenn das so ist«, bemerkte
Thamsen und ließ seinen Blick zwischen den beiden Männern hin und her wandern. »Ich
wollte gerne wissen, wie denn das Verhältnis zwischen Ihnen und Ihrer Schwester
war.«
Erk Martensen
hatte mit solch einer Frage nicht gerechnet. Das konnte Thamsen an dem erstaunten
Gesichtsausdruck seines Gegenübers ablesen. Es dauerte daher einen Moment, bis er
sich gefangen hatte.
»Unser Verhältnis. Na ja, wie soll
das gewesen sein. Sie kennen das sicherlich. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.
Eben eine normale Beziehung zwischen Geschwistern, würde ich sagen.«
Das war natürlich eine recht pauschale
Aussage und Thamsen überlegte, wie er am geschicktesten auf den Streit der beiden
wegen des Geldes kommen konnte, als Haie sich unvermittelt einmischte.
»Christian hat mir erzählt, Vatern
soll dir Geld gegeben haben. Wohl für deinen Laden hier. Und Katrin hat das nicht
gepasst.«
»Was weiß Christian schon«, zischte
Erk Martensen.
»Ja, aber haben Sie sich nun wegen
des Geldes mit Ihrer Schwester gestritten?« hakte Thamsen nach.
»Na ja«, der junge Mann hatte sich
schnell wieder im Griff. »Sie war halt eifersüchtig.«
Er sei immer der Liebling des Vaters
gewesen. Ein Mann wünsche sich nun mal einen Sohn, das sei auch nach Jahren der
Emanzipation nicht anders. Wenngleich sich die Frauen das vielleicht einbildeten.
Aber ganz im Gegenteil. Die Männer hielten doch erst recht gegen die Frauen zusammen.
Katrin habe das rasend gemacht.
Er war immer von dem Vater bevorzugt worden und sie hatte stets die zweite Geige
gespielt. Egal, was sie machte.
Merkwürdig, dachte Thamsen. So hatte
er den Bauern nicht eingeschätzt. Die Sorge und anschließende Trauer hatten auf
ihn sehr echt gewirkt und bei ihm nicht den Eindruck erweckt, als habe Fritz Martensen
seine Tochter nicht geliebt. Anders
Weitere Kostenlose Bücher